Cascadas

Werke von Franck, Farnaby, Vizutti, Arban, Mendéz u. a.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sonarte SP 24
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 95

Es war einmal ein kleiner Junge aus Nicaragua, der nichts lieber tat, als Trompete zu spielen, wie so manche anderen Jungen in Nicaragua. Dieser Junge aber wohnte rein zufällig in einer Stadt, in der eines Tages Blechbläser aus Deutschland gastierten. Und nicht nur das. Sie hörten sich an, was der kleine Junge zu spielen hatte, gaben ihm Unterricht und stellten fest, dass er einmal ein ganz Großer auf der Trompete werden könnte: wenn er nur die Gelegenheit dazu bekäme.
Immer wieder kamen die Blechbläser nach Nicaragua, sie suchten und fanden Geldgeber, und irgendwann war es soweit: Der kleine Junge konnte selbst nach Deutschland kommen. Dann ging alles ziemlich schnell: Heute ist er 19 Jahre alt und zeigt den Trompetern in Deutschland, was es bedeuten kann, Trompete zu spielen. Der Junge aus dem Märchen, das keines ist, heißt David Salomon Jarquín. Vor kurzem hat er mit „seinen“ Blechbläsern, die sich unter dem Namen Embrassy einige Bekanntheit in Deutschland erworben haben, eine CD aufgenommen. Zuvor hatte er den ersten Preis beim Deutschen Hochschulwettbewerb gewonnen.
Cascadas, so der Titel der CD, beeindruckt schon durch die Aufmachung in schwarz-weiß-gold: Jugendbilder von David Salomon Jarquín, Straßenszenen aus Nicaragua, pointenreiche Texte auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Allem voran gestellt ist ein Vorwort des legendären Synchronsprechers Dietmar Schönherr, der mit dem „Haus der drei Welten“ im nicaraguanischen Granada und seiner Stiftung „Pan y Arte“ (Brot und Kunst) erst den Rahmen für die musikalische Entwicklungshilfe von Embrassy schuf.
Jarquín und die 14 Blechbläser, die verschiedenen Orchestern in Nordrhein-Westfalen angehören, schlagen bei dieser Aufnahme einen virtuosen Zickzack-Kurs zwischen der Neuen und der Alten Welt ein, zwischen dem Früher und Jetzt: Hier gravitätische Intraden und Suiten von Melchior Franck und Giles Farnaby, dort eine Samba Gitana von Rafael Méndez (1906-1981); hier Georg Daniel Speers (1636-1707) Sonata 29, dort Hans Werner Henzes Sonatina für Trompete solo. Am Ende stehen die ausgelassene Nummer Tico Tico von Zequinha de Abreu (1880-1935) und eine achtstimmige Motette von Mendelssohn einträchtig nebeneinander: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir.“
David Salomon Jarquíns Geläufigkeit und Eleganz dabei sind beinahe erschreckend, nicht nur in den Variationen über den Karneval von Venedig. Lässig, unangestrengt, cool und doch hoch konzentriert spielt er das Blaue vom Himmel herunter – auf der Trompete wie auf dem Flügelhorn. Sein Ton strahlt, doch er schreit niemals.
Die Embrassy-Mitglieder verneigen sich höflich vor dem jungen Solisten, doch liefern sie auf ihrer vierten CD weit mehr als Begleitmusik und belegen, dass sie zu den Besten der deutschen Blechbläserzunft zählen. Gerade weil für sie nicht nur die Maximen höher, schneller und lauter zählen.
Johannes Killyen