Ponchielli, Amilcare

Capriccio

für Oboe und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2005
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 88

Eines gleich vorweg: Wer Hummel und Kalliwoda mag, wird dieses Stück lieben! Melodien im leidenschaftlichen Überschwang, dramatisches Gewölk in Moll und hochvirtuose Variationen einer leicht eingängigen Melodie zeigen Romantik pur. Die Komposition bewegt sich dabei gekonnt auf dem Grat zwischen Kunst und Kitsch, Salon und Konzertsaal.
Ponchielli schrieb sein Capriccio ebenso wie sein Piccolo concertino op. 79 für den Oboisten Cesare Confalonieri, mit dem er seit frühester Jugend eng befreundet war. Dass dieses Stück in enger Zusammenarbeit mit einem Oboisten komponiert wurde, zeigt die trotz des hohen technischen und atemtechnischen Anspruchs doch gute Spielbarkeit des Werks, das wie maßgeschneidert für die Oboe ist. Erst drei Jahre nach Ponchiellis Tod erschien 1889 die Komposition, die allerdings im Erstdruck zahlreiche Abweichungen vom Manuskript aufweist. Die vorliegende Neuausgabe basiert auf dem Manuskript – lediglich offensichtliche Vorzeichenfehler wurden korrigiert, wobei jede Korrektur genauestens im Vorwort erläutert wird.
Etwa 230 Takte umfasst das Capriccio, beginnend mit einem glutvollen Allegro non tanto in f-Moll. Nach dem Klaviervorspiel setzt die Oboe gleich mit einer kurzen virtuosen Kadenz ein. „Con espressione“ geht es weiter mit accelerando, lusingando, vielen dramatischen Klavierakkorden und romantischer Verve bis zur Befreiung im „Meno maggiore“ – natürlich dolcissimo zu spielen. Geschickt greift der Komponist thematisches Material wieder auf und überrascht durch manch wunderschöne harmonische Wendung. Eine längere Klavierüberleitung gönnt der Oboe eine wohlverdiente Pause und bereitet mit sensibel hingehauchten Tönen auf das folgende Andante in c-Moll vor, das traurige Melancholie verströmt. Wer auf der Oboe tonlich zu zaubern vermag, wird hier sein Publikum zum Dahinschmelzen bringen. Auch hier löst Ponchielli das düstere Moll in ein wohliges „Maggiore“, bevor – wiederum nach einem Klavierzwischenspiel – das Variationsthema vorgestellt wird (Allegretto moderato). Das Thema betört mit seiner an Verdi erinnernden Italianità. Die Variazione mit ihren schier endlosen Sechzehntel-Ketten lässt den Oboisten an Pasculli denken. Im Stil einer Stretta kulminiert der Schluss in Sechzehntel-Triolen.
Ein Pasticcio ist dieses Capriccio jedoch nicht, auch wenn Konzeption und einige Wendungen zunächst merkwürdig vertraut erscheinen. Ponchielli schrieb ein Bravour-Stück im Stil seiner Zeit, das einen einfallsreichen Musiker zeigt und nicht zuletzt einen gewieften Opernkomponisten, der genau weiß, wie ein Publikum zu faszinieren ist. Jeder technisch versierte Oboist dürfte über diese lohnende Bereicherung des ohnehin schmalen romantischen Repertoires begeistert sein.
Marie-Theres Justus-Roth