Werke u.a. von Glasunow, Gubaidulina und Koechlin
Brüderchen und Schwesterchen
Klassische Musik und Sprache
Klassische Musik mit Märchen- und Kinderhörspielen zu kombinieren ist keineswegs neu und doch verfolgt die Edition See-Igel in Zusammenarbeit mit dem Südwestdeutschen Rundfunk einen ganz eigenen Ansatz. Denn die Musik ist hier nicht Dienerin der Erzählung, sondern kommentiert und durchdringt gleichberechtigt das Geschehen. Dass die Werke zwischen den Erzählabschnitten in kürzere Teile auseinandergenommen werden, stört bei der vorliegenden CD mit dem Grimmschen Märchen Brüderchen und Schwesterchen nicht, weil die Redaktion die Schere sehr sensibel angesetzt hat. Vielleicht hätte sie sich aber für ihr Konzept einen etwas blumigeren Titel als Klassische Musik und Sprache aussuchen können.
Zudem fehlen im Booklet Informationen über die hervorragenden Künstler, die hier zu hören sind: Immerhin ist Christoph Eß Solohornist der Bamberger Symphoniker und Jean-Eric Soucy Solobratscher des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Etwas weniger bekannt, dafür überaus erfahren in musikalischen Kinderprojekten ist der Pianist Thomas Wellen, ein richtiger Star die Schauspielerin Katharina Wackernagel.
Sie erzählt unaufdringlich und überzeugend das bekannte Märchen vom Schwesterchen und seinem Brüderchen, das durch den Zauber einer bösen Hexe in ein Reh verwandelt wird. Besonders interessant an der Geschichte ist übrigens, dass auch ein König ins Spiel kommt, der das Schwesterchen zur Frau nimmt und durch seinen Liebesschwur nach dessen von der Hexe verantwortetem Tod rettet. Das Brüderchen wird am Ende zwar wieder zum Menschen, nimmt ansonsten aber in der zweiten Hälfte des Märchens eine eher passive Rolle ein. Psychologen und andere Deuter haben in dieser Erzählung jedenfalls ein reiches Betätigungsfeld gefunden.
Die Musik geht auf die dramaturgische Entwicklung ein, ohne sie nur zu doppeln. Und bietet ein besonders reizvolles Pendant bei den Jagdszenen im Wald. Überhaupt sind sehr schöne und zum Teil auch unbekannte Werke zu hören: Eine Bearbeitung von Rossinis berühmtem kollektiven Hornruf Rendez-vous de chasse z.B., in der Christoph Eß seinen überwältigenden Ton voll ausspielen kann. Sehr reizvoll sind aber auch zwei Stücke von Sofia Gubaidulina (*1931), etwas gängiger die Rêverie für Horn und Klavier von Alexander Glasunow und die frühere von zwei Hornromanzen von Camille Saint-Saëns. Eine Entdeckung: die vier kleinen Stücke für Horn, Viola und Klavier von Charles Koechlin. Eine überraschend gelungene Bearbeitung (oder etwa Original?): die barocke Sonate F-Dur für die gleiche Besetzung von Benedetto Marcello. Schön, dass die Werke von Glasunow und Saint-Saëns am Ende noch einmal ganz gespielt werden. Dem hornistisch begeisterten Rezensenten hats gefallen. Und seinen Kindern auch.
Johannes Killyen