British Viola Concertos

William Walton: Concerto for Viola and Orchestra / Sally Beamish: Concerto No. 1 for Viola and Orchestra / Benjamin Britten: Lachrymae

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello Classics COV 30507
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 94

Das noch immer gern kolportierte Klischeebild der Bratsche als „Aschenbrödel“ unter den Streichinstrumenten scheint auf der britischen Insel nie wirklich Eindruck gemacht zu haben – zumindest im 20. Jahrhundert nicht. Allein zwei der drei auf vorliegender CD vertretenen Komponisten beherrschen bzw. beherrschten dieses Instrument: Benjamin Britten, der es in seiner Jugend spielte und die Liebe zu ihm vielleicht von seinem Lehrer Frank Bridge geerbt hatte (Bridge war selbst ein hervorragender Bratschist), und Sally Beamish, die in mehreren Orchestern die Bratsche spielte, bevor sie sich ganz dem Komponieren zuwandte. Letztlich passt der dunkle, samtene Ton des Instruments auch hervorragend zum lyrisch-introvertierten Charakter der hier präsentierten Kompositionen.
William Walton schuf mit seinem frühen Bratschenkonzert – eine erstaunlich reife und gedankentiefe Komposition für einen gerade einmal 26-Jährigen! – sein erstes und vielleicht größtes Meisterwerk. Dieses Konzert, das in seinem überwiegend melancholischen Charakter gewisse Ähnlichkeiten zu Elgars Cellokonzert aufweist, ist bis heute zu Recht eines der meistgespielten Werke seines Genres. Tatjana Masurenko legt hier sogar eine CD-Premiere vor, denn sie verwendet als erste Interpretin eine nach Waltons Tod noch einmal gründlich redigierte und von Fehlern befreite Edition, die 2002 veröffentlicht wurde.
Ein Meisterwerk legte auch Britten mit seinen Lachrymae vor – Reflexionen über ein Thema des englischen Renaissance-Komponisten John Dowland, das erst ganz am Schluss in seiner originalen Gestalt erscheint. Die hier eingespielte Version für Bratsche und Streicher erarbeitete Britten kurz vor seinem Tod auf der Basis der Originalfassung mit Klavierbegleitung; es ist ein tiefgründiges und grüblerisches Werk, in dem die dunkle Seite von Brittens Tonsprache dominiert.
Gegenüber diesen beiden Kompositionen hat es Sally Beamishs 1995 vollendetes erstes Bratschenkonzert schwer sich zu behaupten; seine klangliche Physiognomie zeigt wenig Individualität, ist einem recht neutralen Modernismus verhaftet, an dem auch die programmatische Konnotation – dem Werk liegt die Veleugnung Jesu durch Petrus zu Grunde – wenig ändert.
Die aus Russland stammende Bratschistin Tatjana Masurenko weiß in allen drei Werken rundweg zu überzeugen. Im Walton-Konzert wählt sie relativ rasche Tempi, zündet im Mittelsatz ein ebenso draufgängerisches wie feinsinniges virtuoses Feuerwerk und vermeidet in der resignativen Coda des Finales ein Abgleiten in Larmoyanz und Sentimentalität, das für dieses Werk tödlich sein kann. Die Lachrymae interpretiert sie in aller gebotenen Introversion, findet zu einer sehr fein austarierten Balance der Klangfarben und vollbringt wahre Wunder im Pianissimo-Bereich. Zieht man schlussendlich noch die hevorragende Orchesterleistung und das wunderbar transparente und dynamische Klangbild hinzu, so kommt man nicht umhin, zumindest bei Walton und Britten von neuen Referenzaufnahmen zu sprechen.
Thomas Schulz