Adorno, Theodor W. / Erich Doflein
Briefwechsel
Hg. von Andreas Jacob
An den Musikpädagogen Erich Doflein (1900–1977) erinnert heute vor allem noch das Geigenschulwerk, das er mit seiner Frau Elma Doflein von 1932 bis 1950 veröffentlicht hat. Während der Nazizeit suchte Doflein die innere Emigration, was ihn nicht davor bewahrte, gelegentlich als Kulturbolschewist beschimpft zu werden. 1948 war er Mitbegründer des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Bayreuth, später Darmstadt. Seine geistige Heimat lag in der Jugendmusikbewegung um 1920, seine Orientierungspunkte hießen Bach, Bartók, Hindemith und Orff.
Doflein war es, der 1949 als erster Musikverständiger Thomas Manns Roman Doktor Faustus kommentierte und dabei auf die Beraterrolle von Theodor W. Adorno (1903–1969) einging: Sein Aufsatz Leverkühns Inspirator erschien damals in Die Gegenwart und ist im vorliegenden Band neu abgedruckt. Adorno dankte Doflein schriftlich für diese Würdigung, woraus ein Briefwechsel erwuchs, der bis ins Jahr 1963 reicht. Obwohl die beiden Briefschreiber zwei verfeindeten Lagern angehörten hier Schulmusikbewegung, dort kritische Musiksoziologie , sind ihre brieflichen Ausführungen zur Musik mehr informativ und subjektiv als streitlustig. Gestritten haben sie dagegen öffentlich und gut präpariert: bei Radiogesprächen und Podiumsdiskussionen. Auch um deren Vorbereitung, Organisation und Vergütung (!) kreisen die Briefe eine höfliche Korrespondenz zwischen zwei gestressten Professoren, die menschlich wohl ganz gut harmonierten und einander in Kleinigkeiten auch inspirierten und korrigierten.
Dass zwischen Doflein und Adorno öffentlich nicht gerade die Fetzen flogen, zeigt das transkribierte Radiogespräch von 1951, das einem inszenierten Hörspiel ähnelt. Doflein war ein Mensch des Ausgleichs: Er verehrte Adorno und übrigens auch Schönberg, schätzte den Meinungs-Pluralismus und agierte eher als Mediator und Stichwortgeber, als dass er die Konfrontation gesucht hätte. Bei Diskussionen fand er sich zuweilen sogar in der Rolle dessen, der im eigenen Lager um Verständnis für Adorno wirbt. Dieser wiederum war für Dofleins Toleranz dankbar, wich aber keinen Millimeter von seinen radikalen Positionen ab und distanzierte sich gar, wenn er sie in Dofleins Wiedergabe verharmlost glaubte. Von kleinen Verstimmungen abgesehen, schätzten die beiden einander als ritterliche Kombattanten: Das Diskutieren selbst, das Verbalisieren und Kommunizieren von musiktheoretischen Fragen, war ihnen wichtiger als das Rechthaben.
Man könnte auch sagen: Sie redeten wortreich aneinander vorbei. Denn während Doflein vieles gelten ließ, im Nebeneinander von Schönberg und Laienchören keinen Widerspruch sah und in den eigenen Aufsätzen eher journalistisch registrierend als theoretisch fokussierend schrieb, blieb Adorno in der Sache stur: Musizieren war für ihn kein Wert an sich, die Jugendmusikbewegung erinnerte ihn an eine Sekte, in Laienmusik sah er den Verzicht auf das absolute Wahrheits-Ethos der Kunst.
Was ist wichtiger, kontert Doflein in einem Brief an Adorno von 1954, ob nämlich ein Kunstwerk ist oder ob ein Mensch Musik macht? Genau darüber hätten sie niemals Einigung erzielt: Musik als dialektisches Porträt von Gesellschaft oder als deren praktische Funktion? An dieser Frage scheiterte letztlich auch Adornos Plan, dem Geiger Rudolf Kolisch eine Stelle bei Doflein zu verschaffen. Denn Doflein beantwortete die Suggestionskraft des großen Musikers ganz pragmatisch mit der mangelnden Zugkraft bei jungen Leuten.
Hans-Jürgen Schaal