Enjott Schneider

Bridges to Infinity

Violin Concerto, Viola Concerto, Symphony Nr. 8 „The Bell“ Friedemann Eichhorn (Violine), Alexia Eichhorn (Viola), Julia Sophie Wagner (Sopran), Chor der KlangVerwaltung, Bodensee Philharmonie, Ltg. Gabriel Venzago

Rubrik:
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 12/2025 , Seite 76

Mit über 70 Jahren noch etwas grundlegend Neues anzustoßen, gelingt selten – aber Enjott Schneider scheint gar nicht anders zu können. Nicht, weil es ihm an Geduld oder Hartnäckigkeit zur andauernden Auseinandersetzung fehlte, sondern weil seine musikalische Sprache ihre Nahrung und Substanz aus einem offenen, stetig weiterwachsenden Dialog mit den großen Stoffen und Denkfiguren europäischer wie globaler Kultur gewinnt. Schneider, geboren 1950 in Weil am Rhein, ist als Komponist, Wissenschaftler und Hochschullehrer eine Persönlichkeit von dialektischer Klarheit. Seine Werke verbinden strukturelle Prägnanz mit thematischer Vielschichtigkeit – manchmal kühn und komplex, dabei stets zugänglich und herausfordernd. Einen ästhetischen Absolutheitsanspruch sucht man bei ihm vergebens. Entscheidend ist die Bildhaftigkeit: „Wenn man Musik von mir hört, findet immer Kino im Kopf statt“, formulierte er in der BR-Hommage zu seinem 75. Geburtstag. Das beinhaltet Dramatisches, Atmosphärisches, Intellektuelles und Spirituelles.
Auch diese CD ist „Kopfkino“. Die drei hier versammelten Werke – die achte Symphonie sowie je ein Konzert für Violine und Viola – kreisen um Grenzräume zwischen Weltlichem und Transzendentem. Die Stimmen der Vögel sind im Violinkonzert wie bei Messiaen die akustisch-symbolischen Kanäle zwischen Schöpfung und Geschöpfen, Weltgeist und Einzelgedanke. Wie Sciarrino und Henze ließ sich Schneider in seinem Bratschenkonzert von Gesualdos düsterer Ambivalenz faszinieren. Und seine achte Symphonie „Die Glocke“ steht unmissverständlich in der Tradition von Hybridwerken aus Orchesterstück, Kantate, Liederzyklus. Sie bewegt sich aus dem engen Korsett nur einer Religion mit undogmatisch freier Leichtigkeit hinaus – getragen von Julia Sophie Wagners höhensicherem, klar strahlendem Sopran in Poemen aus buddhistischen, islamischen und christlichen Kulturkreisen.
Gabriel Venzago und die Bodensee Philharmonie begegnen diesem Material mit Empathie und Präzision. Das Ensemble ist gleichermaßen klanglicher und kommunikativer Resonanzraum. Die Solisten Friedemann und Alexia Eichhorn bilden mit schwerelosem Musizieren nicht simple, aber stets durchlässige Strukturen. Was Schneiders Musik vor esoterischer Versenkung bewahrt, ist ihre Energie. Diese Spiritualität ruht nicht, sondern sie bewegt, treibt an und motiviert – suchend, durchlässig, manchmal schillernd, immer wach. „Bridges to Infinity“ sind bei Schneider keine Monumente, sondern mobiles Material. Dieses Album ist auch eine Selbstbeschenkung zum 75. Geburtstag – mit tröstlicher Unruhe, poetischer Direktheit und offen bleibendem Horizont. Aber Schneiders spirituelle Reise ist damit noch lange nicht beendet.
Roland Dippel

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