Werke von Fagerlund, Rojko, Tiensuu, Goldmann, Kuwan und Kratzer

Breathe

Trio Klangspektrum (Preisträger Deutscher Musikwettbewerb)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin GEN 22803
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 76

Seit einiger Zeit schon musizieren Paula Breland (Klarinette) und Anna-Katharina Schau (Akkordeon) zusammen unter dem Namen „Duo Amabile“. Für den Deutschen Musikwettbewerb 2021 haben sich die beiden durch Jennifer Aßmus (Violoncello) zum „Trio Klangspektrum“ erweitert – und gewannen prompt den Preis fürs beste Ensemble für Neue Musik. Freiheit von Konventionen, Aktualität und Leidenschaft – das ist es, was die drei jungen Musikerinnen an der Neuen Musik besonders schätzen. Die nicht alltägliche Triobesetzung – Klarinette, Violoncello und Akkordeon – bietet ihnen dafür ein weites, noch weitgehend unerforschtes Spielfeld.
Die Debüt-CD des Trios versammelt gleich ein halbes Dutzend sehr verschiedener Originalwerke für diese ungewöhnliche Instrumentierung. René Kuwans Fingo Libertas, das 2021 als Wettbewerbsstück für das Trio entstanden ist, steht dabei an vorletzter Stelle – eine einsätzige Komposition von ausgesprochen spannender, impulsiver Vielgestaltigkeit und mit offenbar aleatorischen Elementen. Sozusagen als schrittweisen Ausklang und Abschied von der CD folgt darauf Georg Katzers Oktopus. Dieses Werk von 1997 ist eine Kollektion von acht kurzen Trio-Capricen ganz unterschiedlicher Machart – ein interessantes Wechselbad von quasi nur „angedachten“ musikalischen Konzeptionen.
Den Anfang des Albums macht hingegen das dreisätzige Werk Breathe (2005) von Sebastian Fagerlund. Der Kopfsatz fungiert als suggestive, beschwörende Einstimmung – mit langen, stehenden Tönen, an- und abschwellend wie Naturlaute, aus denen sich kleine Arabesken lösen, quasi „alla improvvisando“, ein wahrer Ohrenöffner. Ebenfalls ein fesselndes Hörerlebnis bietet Stone Wind III (2003/04) von Uroš Rojko, ein Stück, das zwischen lebhaften und ruhigen Passagen pendelt und dabei immer klanglich auf Abenteuer gebürstet ist – mit der Verwendung von drei Klarinettengrößen, von Cello-Glissandi und fortgeschrittenen Spieltechniken. Plus IV (1992) von Jukka Tiensuu ist das älteste Werk des Albums. Aus dissonanten Anfängen entwickelt sich eine Art Kanon im Super-Zeitraffer, hochnervös durch ständige Phrasen-Imitationen zwischen den drei Instrumenten.
Dieses Album ist eine vitale Werbung für die Neue Musik. Und noch mehr als das: Es ist ein Triumph einer selten gehörten Kammerbesetzung. Wie Breland, Aßmus und Schau in diesen Aufnahmen zusammenwirken, wie sie aus der Klanglichkeit ihrer so verschiedenen Instrumente Kontraste und Einheit schöpfen, zeugt von gewaltigem Talent. Dass man diese Musik noch lebendiger, noch überzeugender spielen könnte, ist kaum vorstellbar. Interpretation, Repertoire und Aufnahmetechnik begegnen einander hier auf ganz hohem Niveau.

Hans-Jürgen Schaal