Blume, Walter (Hg.)

Brahms in der Meininger Tradition

Seine Sinfonien in der Bezeichnung von Fritz Steinbach. Neuausgabe mit einem Vorwort von Michael Schwalb

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Georg Olms Verlag, Hildesheim 2013
erschienen in: das Orchester 12/2013 , Seite 68

„Nun denken Sie, was ich gemacht habe! Die Brahms-Sinfonien bearbeitet, wie Weingartner in seinen Ratschlägen für die Aufführung Beethoven’scher Symphonien und zwar auf Grund der Steinbach’schen Partitur. Einzeichnungen, die ich zum Teil handschriftlich von ihm besitze.“ In einem Nachruf wird Walter Blume selbst zitiert, der mit der Ankündigung dieses Unterfangens für die musikalische Nachwelt ein Dokument hinterlassen hat, das uns unmittelbar in die späte Brahms-Zeit versetzt. Walter Blume war Dirigierschüler des Brahms-Enthusiasten Fritz Steinbach, der sich mit der Meininger Hofkapelle allergrößte Verdienste um das Werk von Brahms erworben hat. Er war von 1886 bis 1903 Leiter der Hofkapelle und es ist überliefert, dass Brahms ihn für den besten Interpreten seiner Sinfonien hielt. Somit stehen jetzt dank der Wiederveröffentlichung des Typoskripts von Walter Blume durch Michael Schwab diese wertvollen und größtmögliche Authentizität besitzenden Interpretationshinweise allgemein zur Verfügung.
Einige zentrale Gedanken durchziehen die Hinweise zu den mit unzähligen Notenbeispielen ausgestatteten Aufzeichnungen: Immer wieder wird die Flexibilität des Tempos hervorgehoben. Blume spricht davon, dass der Dirigent ein „feines elektroskopisches Gefühl für Tempo-Modifikationen walten lassen“ müsse. Um metrische Nuancen herauszuarbeiten, wird das Wechseln des Taktierens empfohlen. Klare Akzentuierungen helfen bei der Verdeutlichung von Brahms’ „wütendem Kampf gegen den Taktstrich“, was am ersten Satz der 3. Sinfonie erläutert wird. Sehr detailliert wird auf die Phrasierung der Themen eingegangen, die besonders die motivischen Einheiten hervorhebt. Breiten Raum nimmt die Gestaltung von Auftakten und damit verbunden die Gewichtung von Arsis und Thesis ein.
Von besonderem Interesse sind sowohl dezidierte Einzelaspekte wie auch die Beschreibung einzelner Sätze. So wird beispielsweise in der 2. Sinfonie die mottoartige Bedeutung des eröffnenden Dreitonmotivs durch das Absetzen des letzten Viertels verdeutlicht. Den Interpretationsansatz des 3. Satzes der 2. Sinfonie fasst Blume knapp zusammen: „Delikatesse im Kammermusik-Stil“, wobei der Cellopart im Presto-Teil entgegen der Partiturangaben nur von zwei Spielern, aber höchstens von zwei Pulten auszuführen sei. Bei der 3. Sinfonie wird zunächst das Unzutreffende des Beinamens, sie sei die Brahms’sche Eroica, erläutert und dagegen der pastorale Charakter hervorgehoben.
Nicht alle Anmerkungen sind von gleicher Wichtigkeit und Besonderheit, aber die Steinbach’schen Gestaltungsideen sind durch die Vermittlung seines Schülers Walter Blume in jedem Fall gewinnbringend für das Überdenken der eigenen Interpretation und grundlegend für eine historisch informierte Aufführungspraxis der Brahms’schen Musik und die seiner Zeitgenossen.
Heribert Haase