Fortner, Wolfgang

Bluthochzeit

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Wergo MV 0807 5
erschienen in: das Orchester 12/2013 , Seite 83

Im Kanon bedeutender deutscher Opern der Moderne wird Wolfgang Fortners Bluthochzeit von 1957 nach Federico García Lorcas Tragödie (Übersetzung: Enrique Beck) oft vergessen. Dabei wäre sie gewiss einzureihen zwischen Alban Bergs Wozzeck (1925), Paul Hindemiths Cardillac (1926/52) und Hans Werner Henzes (seines Schülers!) Der Prinz von Homburg (1959/91) sowie Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten (1965). Auf den Spielplänen sucht man sie meist vergeblich. Dass sie aber dort hingehört, beweisen die Wuppertaler Bühnen 2013 mit der hier auf DVD gebannten Produktion unter dem englischen Dirigenten Hilary Griffith in der Regie (plus Bühnenbild) von Christian von Götz. Dank ihres sprachhaften Gesangs zur großenteils zwölftönigen Orchesterpartitur auf der Basis der eingangs intonierten Reihe gelang Fortner eine packende Oper, packender und dramaturgisch stimmiger als das eher selten absolut zwingend inszenierte, textschwere Schauspiel.
Die Geschichte um Blutrache, Ehebruch und Fügung ins Schicksal hat das Team in ein heutiges Arbeiterviertel geholt. Vor der Projektion einer Mietskaserne spielt die Szene: Das Messer in der Hand der Mutter bringt dieser während des Orchestervorspiels die Angst zurück und das Trauma des Mords an ihrem Mann und am ersten Sohn durch die Félix-Sippe. Eine Braut in Weiß (Kostüme: Ulrich Schulz) springt ihr auf den Rücken, sie schüttelt sie ab, richtet das Messer gegen die Flüchtende. Ähnliche Szenen wie diese fügt Götz immer wieder geschickt über die farbigen instrumentalen Zwischenspiele. Dieser Beginn ist indes bereits eine vage Vision des Endes der Oper nach einem fast im Dunkeln sich langsam abspielenden zweiten Akt, das Orchester hinter der leeren Szene. Wenn die Mutter nämlich die tatsächliche Braut zur Rede stellt, die ihren zweiten Sohn in der Hochzeitsnacht mit Leonardo Félix betrogen hat. Das neuerliche Mordgeschehen aber – Leonardo und der Bräutigam haben sich gegenseitig erstochen – lässt die Mutter im beinahe ariosen Schlussgesang die Angst vergessen: „Mit einem winzigen Messer … erstachen sich beide Männer für Liebe.“
Griffith leitet sehr konzentriert mit klaren Zeichen das ihm sicher folgende Sinfonieorchester Wuppertal und den von Jens Bingert einstudierten Opernchor durch die Partitur. Diese wartet in den Chorteilen mit Anklängen spanischer Folklore in Melos und Metrik auf, wobei Kastagnetten laut scheppern. Im Kontrast dazu beginnt der zweite Akt äußerst leise und sparsam, anfangs mit ganz wenig Schlagwerk, dann Holzbläsern zum Auftritt des Mondes, der das ehebrecherische Paar beobachtet. Fortners Opernmusik sucht selten den Ausbruch, auch in ihrer Knappheit trägt sie die Handlung, ist – gemäß obigem Kanon – am nächsten bei Berg.
Die Sänger gestalten gut die schwierig zu phrasierenden Hauptpartien: Dalia Schaechter mezzo-timbriert die Mutter, Banu Böke mit kraftvollem Sopran die Braut, Thomas Laske baritonal-viril den Leonardo, Gregor Henze die Sprechrolle des Bräutigams.
Günter Buhles