Harneit, Johannes

Bläserquintett op. 9

Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Sikorski, Hamburg 2005
erschienen in: das Orchester 05/2006 , Seite 82

Der Werkkatalog des 1963 geborenen Hamburger Komponisten Johannes Harneit umfasst etwa 30 gedruckte Werke verschiedenster Gattungen, etwa ein Drittel kann im weitesten Sinne der Kammermusik zugerechnet werden. Das Bläserquintett op. 9 ist eine Auftragskomposition der Basler Gesellschaft für Kammermusik und wurde 1998 geschrieben. Drei Jahre später überarbeitete Harneit das Quintett, das aus fünf Sätzen besteht, deren kompositorisches Material durch gemeinsame Intervallstruktur und zum Teil auch durch den Tonvorrat miteinander verknüpft ist.
Im eröffnenden Adagio ist der Klangraum mit einem Tritonus-Ambitus eng begrenzt und das Tonmaterial begnügt sich mit dem Wechsel von vier Tönen innerhalb der Stimmen. Nach diesen minimalen Veränderungen öffnet sich der Raum, der Tonvorrat wird erweitert, neue Elemente wie Glissandi und Flatterzunge treten hinzu. Die Tendenz zur Klangverschmelzung wird durch die Verwendung von Vierteltönen in enger Lage und die Spielanweisung für die Holzbläser, den aperto- und chiuso-Hornklang nachzuahmen, unterstrichen. Nur vereinzelt lösen sich motivische Zellen aus dem Gesamtklang heraus, der durch eine sublime Dynamik gesteuert wird.
Der zweite Satz, Intermezzo primo, basiert nahezu auf dem gleichen Tonmaterial wie der erste Satz, lässt aber einen größeren Tonraum zu. Mit genauen Vibrato-Angaben und Mehrklängen treten weitere Aspekte der klanglichen Differenzierung hinzu. Auf diesen sehr verhalten wirkenden Satz folgt der Mittelsatz des Quintetts, der mit „Sphinxes“ überschrieben ist. Es gibt keinerlei Dynamikangaben und es wird senza misura musiziert. Auf Klangfarbenveränderungen wird völlig verzichtet, nur der Tonraum wird maximal gespreizt. Dieser sehr statische Satz ist aufgrund des Titels und denkbarer Tonbezüge eine Allusion auf den gleichnamigen Satz aus Robert Schumanns Klavierzyklus Carnaval.
Das zweite Intermezzo nutzt wieder alle Möglichkeiten der rhythmischen und tonfarblichen Differenzierung (Obertonglissandi in der Flöte). Der Schlusssatz Presto wartet mit prägnanter Motivik (alla marcia), tonalen Bildungen auf dem Zentralton B und der Einbeziehung des Obertonspektrums auf. Kontrastierend hierzu gibt es Viertelton-Passagen. In diesem Satz gewinnen die einzelnen Instrumente etwas an Eigenwert.
Das Bläserquintett Harneits, das von der Idee der Klangverschmelzung getragen wird, hat eine Spieldauer von ca. 20 Minuten und ist eine extrem anspruchsvolle, formal überschaubare Komposition. Die Probleme liegen in der Realisation der klangfarblichen Nuancen und der extremen Dynamikangaben, die allerdings stellenweise kaum klanglich wirksam werden können, so z. B. das sechsfache Piano der Oboe oder die Kombination eines Flatterzungeneffekts des Fagotts im vierfachen Forte mit einem Klarinettenmotiv im sechsfachen Piano.
Heribert Haase