Werke von Erwin Schulhoff, Paul Hindemith, Paul Ben-Haim und Darius Milhaud

Bittersweet. Musik im Schatten des Dritten Reiches

Regina Reiter (Saxofon), Danlin Felix Sheng (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Kaleidos
erschienen in: das Orchester 9/2024 , Seite 72

Wer ein wenig zurückdenkt, wird sich an eine Zeit erinnern, in der das hier eingespielte Repertoire noch zu den Raritäten zählte – und dies aus zwei Gründen: Zum einen war das Saxofon noch lange nicht als Instrument der „ernsten“, komponierten Musik etabliert, zum anderen waren die Originalstücke kaum präsent – weder beim Musikalienhändler (den es noch gab) noch auf CD (weil sich viele Labels nicht trauten). In der nun schon dritten Dekade des 21. Jahrhunderts hat sich das Bild gewandelt: Das Saxofon wird längst auch außerhalb von Jazz und Bigband wahrgenommen, die auf dieser CD versammelten Komponisten (und ihre Werke) stellen bei Weitem keine Sensation mehr dar.
Umso mehr treten die Metatexte solcher Veröffentlichungen in den Vordergrund, und dazu zählt auch der Titel des Albums: Bittersweet – Musik im Schatten des Dritten Reiches. Wer denkt da im Zusammenhang mit dem Saxofon nicht sofort an das für die Ausstellung „Entartete Kunst“ entstellte Titelblatt des Klavierauszugs von Kreneks so erfolgreicher Zeitoper Jonny spielt auf? Für alle, die nur mit dem rechten Ohr hörten, bedrohte das Saxofon und der mit ihm verbundene komponierte „Tanzjazz“ schlichtweg die gesellschaftliche Ordnung.
Schaut man nun aber genauer auf die hier eingespielten Werke, tut sich eine spürbare Lücke zwischen Motto und Musik auf: Erwin Schulhoffs Sonate für Saxofon und Klavier stammt aus dem Jahr 1930 (er selbst wurde mit russischem Pass zu Beginn des Zweiten Weltkriegs interniert). Paul Hindemith schrieb seine Sonate op. 11/4 original für Viola und Klavier bereits 1919, die Sonate für Altsaxofon und Klavier ist ein Werk aus dem amerikanischen Exil (1943). Die Drei Lieder ohne Worte von Paul Ben-Haim datieren von 1952 (!) und Darius Milhaud schrieb sein Scaramouche op. 165 1937 im noch gänzlich unbesetzten Paris.
Was also bleibt bei einem näheren Blick auf die Tracklist von dem engagierten Motto, wenn es die individuellen Schicksale der Komponisten betrifft, die Musik selbst aber nicht? (Entsprechend heißt es auf dem Backcover dann richtigerweise: „Werke von Komponisten, die während der NS-Diktatur als verfemt galten.“) Man wünscht sich ein wenig mehr Recherche, Genauigkeit und Vorsicht, um mit einem gut gemeinten Programm nicht unversehens auf historisches Glatteis zu geraten. Bleibt noch die Frage der Interpretation – und der Akustik. Letztere ist „very dry“ – und zwar so sehr, dass Saxofon und Klavier kaum zueinander finden und sich der Abstand auch beim Hören fortsetzt. Der Part von Danlin Felix Sheng am Klavier bleibt so leider im objektiven Bereich stecken und der Ton von Regina Reiter zeigt sich zwar ausdrucksstark und reich an Farben, dies jedoch zu oft auf den Affekt des Moments und nicht auf einen Satz oder die Einheit des Werks bezogen.
Michael Kube