Steffen, Alain
Bitte fragen Sie
Interviews mit Musikern
Interviews können lebendig sein. Sie können den Leser zum Augenzeugen machen. Sie können Widersprüche aufdecken und hinterfragen, sie können Tempo haben und Witz. Bitte fragen Sie. Interviews mit Musikern heißt das Buch des Luxemburger Musikjournalisten Alain Steffen. Es ist eine beachtliche Sammlung von knapp 60 bereits veröffentlichten, hier allerdings ungekürzt wiedergegebenen Interviews aus den vergangenen acht Jahren mit Dirigenten, Pianisten, Geigern, Cellisten, Sängern, Komponisten, Intendanten und Mitgliedern von zwei Streichquartett-Ensembles. Einige lesenswerte Essays wie der des Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann über neue Musik oder Justus Zeyens Gedanken zum Lied runden das inhaltsreiche Buch ab.
Sein großer Umfang ist jedoch leider von Nachteil: Zu vielen Persönlichkeiten werden die gleichen Fragen gestellt, zu wenig gesprochen wirken die aufgezeichneten Gespräche, zu lang sind manche Ausführungen geraten. Brav arbeitet Alain Steffen seinen Fragenkatalog ab. Er hakt nicht nach, er verweist nicht auf Widersprüche. Es fehlen Witz und Esprit, Spannung und Überraschung. Pianist Rudolf Buchbinder darf unwidersprochen Sätze sagen wie: Ein erstklassiger Instrumentalist wird nie auf historischen Instrumenten spielen. Dirigent Kurt Masur schwärmt vom authentischen Beethoven-Klang des Gewandhausorchesters Leipzig, ohne dass Steffen nachhakt, was diesen Klang denn eigentlich ausmache. Die Antworten sind zu lang, die Fragen manches Mal auch. Dass keine Kurzbiografien beigefügt sind und auch auf Porträtfotos weitgehend verzichtet wird, ist ebenfalls wenig erfreulich.
Dennoch findet sich viel Lesenswertes in diesem Buch was an den hochkarätigen Gesprächpartnern liegt. Besonders die Interviews mit den Sängern sind lohnend, weil sie sich von den üblichen Phrasen entfernen. Simon Keenlyside berichtet von der Färbung der Stimme bezüglich bestimmter Rollen, Diana Damrau ist verzückt vom Liedgesang (Lieder singen ist wie Achterbahn fahren). Auch Rückblicke von Ernst Haefliger und Anja Silja auf die Ensemblekunst nach dem Zweiten Weltkrieg und die Arbeit Wieland Wagners sind hoch interessant.
Bei der historischen Aufführungspraxis sind die Fronten verhärtet zwischen den extremen Gegnern (u.a. Maurizio Pollini, Rudolf Buchbinder, Ernst Haefliger, Adam Fischer) und den Befürwortern (radikal: Jos van Immerseel, eher ausgleichend: Sol Gabetta). Dass sich in der heutigen Musikpraxis schon längst die beiden Welten begegnen, bleibt unerwähnt.
Wiederkehrende Themenfelder sind Werktreue, Interpretation, neue Musik, Eventkultur und das Musikleben in der DDR. Hier berichten Kurt Masur, Herbert Blomstedt, Peter Rösel, Jan Vogler und das Klenke-Quartett von intensivem Musizieren hinter dem Eisernen Vorhang. Stéphane Denève erklärt lebendig das französische Musikverständnis, Hélène Grimaud gibt interessante Einblick in ihr musikalisches Leben. Und Pianist Lars Vogt schwärmt vom auskomponierten Orgasmus in Brahms f-Moll-Sonate.
Georg Rudiger