Mozart, Wolfgang Amadeus

Betulia liberata

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Challenge Classic CC72590
erschienen in: das Orchester 01/2014 , Seite 77

Michi Gaigg ist längst nicht mehr nur als eine der besten Schülerinnen von Nikolaus Harnoncourt zu bezeichnen. Sie ist mit dem Profil ihres L’Orfeo Barockorchesters zu einer kongenialen Nachfolgerin des Concentus-Musicus-Meisters gereift, die längst eigene Wege beschritten hat, was sich auf der vorliegenden CD hören lässt.
Transparent und ausdrucksstark beginnt das selten aufgeführte geistliche Musikdrama des 15-jährigen Mozart schon mit der dreiteilig angelegten italienischen Sinfonia im dramatischen d-Moll. Im Eingangs-Allegro verschmelzen im Klang Oboen und Violinen als präzise Einheit, wie auch die Bassgruppe, die das tragende Gerüst für die kriegerischen Bläsereinwürfe bildet. Gerade die gut dargestellte Bassstruktur arbeitet im weiteren Verlauf die Tiefenstruktur der Partitur minutiös heraus und zeichnet gleichsam im musikalischen Aquarell die unabdingbaren Konturen. Immer findet auch reine Instrumentalmusik eine überzeugende Klangsprache, etwa der lyrisch gehaltene Andante-Mittelteil der Eingangssinfonia
in kontrastierender Dynamik und Akzentuierung, intonationsmäßig hochsensibel. Unvermittelt erfolgt der Übergang zum abschließenden Presto-Teil. Schon die Interpretation der Sinfonia überrascht und begeistert.
Diese Gesamtaufnahme von Mozarts Oratorium ist ein Erlebnis: Dramatik wird mit Noblesse und Perfektion vereint. Durch und durch ist bei den Instrumentalisten die Kenntnis der über das Barock weit hinaus tradierten Affektenlehre wie der Mannheimer Schule spürbar. Ebenfalls bleibt das etwa von Francesco Algarotti geforderte Chiaroscuro keine bloße Theorie. Woher diese Musiksprache kommt und wohin sie gehen will, lässt dieserart neugierige Interpretation nachvollziehbar werden. Die Bedeutung von Tonartencharakteristik wie die Einbettung in die Musikpraxis der Zeit, der kompositorische Hintergrund der Azione sacra werden erkennbar.
Mozarts Bezug zu Michael Haydns Pietas christiana erscheint in dieser Herangehensweise überaus sinnfällig. Die Gesangssolisten dienen im besten Sinne dem Werk, auch indem aus ihrer Mitte der Chor unprätentiös, aber überaus agil und schlank formiert wird. Somit entsprechen die Interpreten vielleicht weniger dem Starkult, der in Mozarts Zeit das weltliche Musiktheater weithin beherrschte, aber treffen doch eine wesentliche Intention eines geistlichen musikalischen Erbauungsdramas metastasianischer Prägung.
Margot Oitzinger stellt eine selbstbewusste, angstfrei im Gottvertrauen handelnde Giuditta dar, das dunkle Timbre ihrer schlank geführten Stimme ist der Rollencharakteristik überaus angemessen. Agil und lyrisch führt der Tenor Christian Zenker den Part des Ozia aus. Marelize Gerber gibt als Amital gewissermaßen den Gegenpart zu Giuditta mit ihrem glockenreinen Koloratursopran, der affektreich Betulias Wut und Jammer zu verkörpern vermag. Die Sopranistinnen Ulrike Hofbauer als Cabri und Barbara Kraus als Carmi überzeugen in berückender Klarheit. Der sonore Bariton Markus Volpert charakterisiert die verschiedenen Affektzustände Achiors souverän. Diese Einspielung ist eine Bereicherung im Mozart-Repertoire.
Iris Hildegard Winkler