Beer, Alexander
Berufsziel: Blasorchesterdirigent
Neue Perspektiven für Hochschulabsolventen
Zwar hat sich die Anzahl der deutschen Polizei- und Militärblasorchester in den vergangenen Jahren verringert, doch bei den Amateurensembles ist ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen. Bläsermusik wird heute überwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgeübt entweder in Musikschulensembles oder in Vereinen. In den vergangenen zehn Jahren gründeten sich zudem vermehrt Bläserklassen und kleine Blasorchester an allgemein bildenden Schulen. Viele Vereinsblasorchester haben sich dem föderal strukturierten Blasorchester-Verbandswesen und seinem Dachverband, der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV) mit Sitz in Stuttgart, angeschlossen. Dem BDMV gehören über 1,3 Millionen Mitglieder von mehr als 18000 Ensembles in 11000 Mitgliedsvereinen an, organisiert in 24 einzelnen Mitgliedsverbänden.
Die zunehmende Aktivität von Musikschulensembles und Schulen auf diesem Sektor führt dazu, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr, wie es in der Vergangenheit gängige Praxis war, ihren Instrumentalunterricht von älteren Laienmusikern im Verein erhalten, sondern sich von der ersten Note an in der Obhut erfahrener Musikpädagogen und Orchestermusiker befinden. Das daraus resultierende steigende Niveau der instrumentalen Fähigkeiten der Musiker in den Blasorchestern ermöglicht die Erarbeitung immer anspruchsvollerer Literatur. Viele Orchester bringen inzwischen originelle und künstlerisch hochwertige sinfonische Originalwerke für Blasorchester in ihren Konzerten auf die Bühne.
Nebenberufliche Dirigentenausbildung
Mit dem Können der Musiker wachsen gleichzeitig die Ansprüche an die Dirigenten. Musikschulensembles werden heute in der Regel von studierten Instrumentalpädagogen oder Orchestermusikern aus dem Kollegium geleitet. Zumeist haben sie ihre Dirigierkenntnisse an der Hochschule im Nebenfachbereich, bei Fortbildungen oder auch autodidaktisch erworben. Die Blasmusikverbände haben seit den 1960er Jahren ein gut ineinander verzahntes Ausbildungssystem entwickelt, das Fortbildungen auf verschiedenen Stufen ermöglicht.
Interessant für die Zielgruppe Berufsmusiker und Musikstudenten wird es ab den so genannten B-Kursen. Sie finden an der 1972 eingerichteten Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen statt. In sechs einwöchigen Akademiephasen und begleitenden Praxisphasen beschäftigen sich die Teilnehmer eineinhalb Jahre intensiv mit den Fächern Dirigieren, Probenmethodik, Gehörbildung, Musiktheorie, Musikgeschichte, Repertoirekunde und Instrumentalspiel. Betrachtet man die Anmeldezahlen, zeigt sich eindeutig, dass die Kurse auch nach über 30 Jahren rege nachgefragt werden. Im Oktober 2009 beginnt der inzwischen 25. B-Lehrgang in Trossingen. Wie in den Jahren zuvor wurden die Dirigenten Felix Hauswirth (Schweiz) und Johann Mösenbichler (Österreich) als Hauptdozenten verpflichtet.
Seit einigen Jahren macht das Rundfunk-Blasorchester Leipzig (RBO) durch künstlerisch-pädagogische Projekte auf sich aufmerksam. Als einziges ziviles Berufsblasorchester in Deutschland hat es sich neben dem Konzertieren mit seiner Bläserakademie Sachsen zur Aufgabe gemacht, Dirigenten für Jugend- und Laienblasorchester fortzubilden. Im März 2009 startete der noch nicht ganz so traditionsreiche, aber immerhin sechste B-Lehrgang nach Trossinger Vorbild. Dirigierdozent ist der Niederländer Pierre Kuijpers. Während in Trossingen ein Teilnehmerorchester für den Dirigierunterricht zusammengestellt wird, steht den Leipziger Kandidaten mit dem Rundfunk-Blasorchester ein professioneller Klangkörper zur Verfügung.
Trendwende in der Ausbildung dank Impulsen aus dem Ausland
Bis vor einigen Jahren konnten motivierte Lehrgangsteilnehmer der Blasmusikverbände eine Ausbildung zum Berufsdirigenten für Blasorchester nur im angrenzenden europäischen Ausland absolvieren. In den Niederlanden, der Schweiz und Österreich sind derartige Studiengänge zum Teil seit Jahrzehnten traditionell an den Musikhochschulen und Konservatorien verankert. Geringe Sprachbarrieren und einfache verkehrstechnische Erreichbarkeit machten es vielen zudem möglich, zwischen Instrumentalstudium an einer deutschen Hochschule und der Dirigentenausbildung im Nachbarland zu pendeln. Als herausragende Hochschullehrer mit europaweit exzellentem Ruf sind Jan Cober, Pierre Kuijpers (beide Maastricht), Alex Schillings (Den Haag), Felix Hauswirth (Basel), Franco Cesarini (Zürich und Lugano), Johann Mösenbichler (Linz) und Thomas Doss (Wien) zu nennen. Die dort ausgebildeten Dirigenten haben in der Blasorchesterlandschaft im Süden und Westen Deutschlands eine Multiplikatorenrolle eingenommen. Bei den Vereinen und Auswahlorchestern sowie im zweiten Schritt an den Musikschulen zeigt sich ein kontinuierlich anwachsendes Interesse an Berufsdirigenten.
Eine deutsche Professur für Blasorchesterleitung
Erst seit dem Jahr 2000, als aus zwei bisher eigenständigen Konservatorien die neue Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg gegründet wurde, entstand die damals erste und bis heute einzige Professur für Blasorchesterleitung in Deutschland, auf die Maurice Hamers aus den Niederlanden berufen wurde. Zuvor Leiter der Marinierskapel der Koninklijke Marine, baute er in Augsburg den Studiengang und das Sinfonische Blasorchester der Hochschule auf, mit dem er zahlreiche Konzerte realisierte und das für die Ausbildung der Dirigierstudenten zur Verfügung stand. Im Zuge der Umstrukturierung der bayerischen Musikhochschullandschaft wurde 2008 der Augsburger Standort von der heutigen Musikhochschule Nürnberg getrennt und als Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg weitergeführt. Das Blasorchester der Hochschule und die Blasorchesterdirigentenausbildung wurden von diesen Maßnahmen schwer getroffen. Durch Neustrukturierung konnte der Stu-diengang in Augsburg erhalten bleiben.
Bislang zogen ausschließlich Hochschulen aus Baden-Württemberg in der Blasorchesterdirgentenausbildung nach. 2002 zunächst als Neben- und Wahlfach eingerichtet, verschafften diverse Projekte dem Fach genügend Reputation, um an der Musikhochschule Trossingen als koordiniertes Hauptfach eingerichtet zu werden. Dozenten sind Stefan Halder und Toni Scholl, der den Studenten als Leiter des Polizeimusikkorps Baden-Württemberg enge Kontakte und praktische Erfahrungen im Austausch mit seinem Orchester ermöglicht. Das von Stefan Halder gegründete Sinfonische Blasorchester Polyphonie T Wind übernimmt darüber hinaus die Aufgaben eines Hochschulblasorchesters, das aus strukturellen Gründen bislang nicht existiert.
In Mannheim gab es schon lange die Überlegung, in Zusammenarbeit mit der örtlichen Bläserphilharmonie eine Dirigentenausbildung an der Hochschule zu etablieren. Zum Wintersemester 2007/08 konnten die ersten Studierenden des Hauptfachstudienganges Leitung von Blasorchestern bei Markus Theinert ihre Ausbildung beginnen. Die ebenfalls von Theinert geleitete Mannheimer Bläserphilharmonie steht für die praktischen Teile des Lehrprogramms als Studioorchester zur Verfügung. Die Musikhochschule Stuttgart vergab im März 2009 einen neu eingerichteten Honorarlehrauftrag an den österreichischen Komponisten und Dirigenten Hermann Pallhuber. Die genaue Konzeption des Studienfachs und Details zum Lehrplan sind derzeit in der Erarbeitungsphase.
Aufbau und Inhalte des Studiums
Das Studienfach Blasorchesterleitung ist inhaltlich an allen Hochschulen ähnlich und nach internationalen Standards konzipiert. Deutliche Unterschiede ergeben sich allerdings aus der Einordnung, ob die Ausbildung als Nebenfach, Diplomstudiengang, Bachelor- oder Masterabschluss eingestuft ist. In Augsburg erfolgt die Ausbildung im Rahmen eines achtsemestrigen Studiengangs Bachelor (BA) of Music. An der Trossinger Musikhochschule vereint ein achtsemestriger grundständiger Studiengang Diplom-Musiklehrer/in die künstlerische Arbeit im Hauptfach mit einen zweiten, koordinierten Hauptfach Blasorchesterleitung. In Mannheim stellt die Musikhochschule zum neuen Wintersemester 2009/10 den bisherigen achtsemestrigen Studiengang Diplom Musiklehrer (ML) mit Hauptfach Leitung von Blasorchestern auf einen Bachelor of Music (BM-P) um.
Neben dem eigentlichen Dirigierunterricht zählen vor allem die Fächer Repertoirekunde, Probenmethodik, Dirigierpraktisches Partiturspiel, Instrumentenkunde, Instrumentation/Arrangieren für Blasorchester, Geschichte des Blasorchesters, Partiturstudium und Werkanalyse, Dirigierpraxis und Orchesterprojekte zu den Kernbereichen des Lehrplans. Erwähnenswert ist der von Anfang an hohe Praxisbezug, den sich die Studenten jedoch aus eigener Initiative erwerben müssen. Fast jeder leitet von Beginn des Studiums an ein oder mehrere Blasorchester, die über das nötige Niveau verfügen müssen, die im Unterricht vorgestellten, anspruchsvollen Werke zu realisieren. Marschmusik oder leichtere Muse haben keinen Platz im Curriculum, die Konzentration liegt auf der Literatur für Sinfonisches Blasorchester, aber auch Werken für kleiner besetzte Formationen. Dank der kontinuierlichen Arbeit in Laien- oder halbprofessionellen Ensembles sammeln Studenten schon früh die für Dirigenten unabdingbare Erfahrung in der Kunst des Umgangs mit ganz verschiedenen Menschentypen sowie weitere soziale Kompetenzen. Organisationstalent ist ebenfalls von Vorteil, denn oft ist der Dirigent auch mit Aufgaben betraut, die über die rein künstlerische Tätigkeit hinausgehen.
Der Unterschied zur Kapellmeisterausbildung und die Auswirkungen
Der Blick in die Voraussetzungen für die Aufnahmeprüfung für Blasorchesterdirigenten offenbart einen frappanten Unterschied zur Kapellmeisterausbildung. Neben Motivationsgespräch, Vordirigat, allgemeiner Musiklehre und Gehörbildung ist das Vorspiel eines Blasinstruments oder Schlagzeugs entscheidend. Klavierkenntnisse werden im Rahmen der Aufnahmeprüfungsvoraussetzungen für das instrumentale Pflichtfach gefordert. Während im Kapellmeisterstudiengang hohe instrumentale Fähigkeiten auf dem Klavier unabdingbar sind, muss sich der Blasorchesterdirigent auf einem Instrument auszeichnen, das in den Orchestern, die er dirigieren wird, auch gespielt wird. Das ermöglicht Talenten, die ihre Instrumentalpraxis nicht auf dem Klavier erworben haben, eine vollwertige Dirigentenausbildung. Während man sich im Blasorchesterbereich jedoch sehr aufgeschlossen gegenüber Absolventen eines Kapellmeisterstudienganges zeigt, existieren studierte Blasorchesterdirigenten in der Wahrnehmung von Kulturorchestern kaum. Über Gründe kann nur spekuliert werden, vermutlich stecken alte Vorurteile oder mangelnder Dialog zwischen den Verantwortlichen beider Bereiche dahinter.
Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Hauptberufliche Dirigentenstellen im Blasorchesterbereich, etwa als Stadtmusikdirektor, sind selten und vor allem im süddeutschen Raum zu finden. Ein breiter Arbeitsmarkt besteht an Musikschulen, wobei sich die Stundendeputate, die einem Dirigenten für die Orchesterarbeit zugestanden werden, von Schule zu Schule sehr unterscheiden. Bei Musikvereinen, die ihre Leistung steigern wollen, werden in den vergangenen Jahren vermehrt hauptberufliche Musikschullehrer oder Orchestermusiker mit einem zusätzlichen Dirigierstudium verpflichtet. Die Motivation eines Vereins schlägt sich auch in der Honorierung des Dirigenten nieder und ist in der Regel angemessen bis sehr gut.
Projektorchester und überregionale Auswahlblasorchester sind ein gutes Umfeld für Blasorchesterleiter, die anspruchsvolle Literatur aufführen möchten. Darüber angesiedelt finden sich in vielen Bundesländern Landesjugendblasorchester. Die Nachfrage nach Spezialisten, die das Medium Blasorchester und sein Repertoire kennen, wird im Musikschulbereich und auf Vereinsebene steigen. Aufgrund des verknappten Arbeitsmarktes im Orchesterbereich, aber auch der Praxis vieler Musikschulen, Lehrkräfte auf Honorarbasis einzustellen, sind Musikstudierende gut beraten, sich nach Ergänzungen zum Kernstudium umzusehen. Blasorchesterdirektion als Zusatzfach oder Zweitstudium kann da eine sehr gute und künstlerisch durchaus befriedigende Wahl sein.
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