Berliner Tierleben

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello Classics COV 51207
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 75

Wer sich vom Cover vorliegender CD nicht sogleich abschrecken lässt – ein Gorillakopf beim Zähneputzen, mutmaße ich – und Affinitäten zu den Dichtungen von Ringelnatz, Morgenstern, dem Humor eines Heinz Erhardt und vierstimmigen A-cappella-Arrangements besitzt, könnte bei vorliegender Einspielung des „Berliner Tierlebens“ durch das Ensemble Vokalzeit voll auf seine Kosten kommen.
Zwar inspiriert von den Comedian Harmonists, grenzen sich die vier Vokalzeit-Sänger nachdrücklich insofern von ihren zumindest im Gesamtklang nicht unähnlichen Comedian-Kollegen ab, indem sämtliche Künstler, wie es im Booklet heißt, die für Vokalzeit die Stücke schrieben und setzten, als Sänger, Chorleiter, Pianisten, Komponisten und Arrangeure mitten im Musikleben stehen und „die ernsten und unterhaltenden Genres durchstreifen wie einen Fundus, der ihnen musikalische Redewendungen, Sprichwörter und Bonmots in Hülle und Fülle bereithält“. Dies dürfte vor allem für Des Mundschmiss Gesäng’ nach Texten von Heinz Erhardt gelten, für deren musikalische Umsetzung Christian Kuntze-Krakau explizit für Vokalzeit tief in die Tasche der musikalischen Zitate quer durch Stile und Epochen griff, um kunstvoll Regenwürmer durchs Kanon- und Fugendickicht kriechen zu lassen, um sie schlussendlich auf Motivlinien aus Mahlers Bim-Bam-Chor oder einem In dulci jubilo landen zu lassen. An anderer Stelle saust eine Fliege über die Anklänge einer Chopin-Etüde und später verendet eine Weihnachtsgans in einem Bach-Choral. In einer Unheimlichen Aufforderung verknüpft Kuntze-Krakau die Geschichte einer Fledermaus mit Starallüren mit den gängigsten Melodien aus gleichnamiger Strauß-Operette. Die Denkmalschänderin (Musik: Emil Gerhardt) touchiert ein wenig größenwahnsinnig Wagner, in der Entwicklung der Menschheit begegnen wir – nichts wäre treffender – Motiven aus Kurt-Weill-Werken. Weiter stehen Stücke mit vielversprechenden Titeln wie Mein Gorilla hat ’ne Villa im Zoo und Igel und Agel neben Berühmtheiten wie So ein Regenwurm hat’s gut und Ich wollt, ich wär’ ein Huhn. Und selbstverständlich fehlt auch Schuberts Forelle in vierstimmigem Gewand nicht und auch nicht das „Känguruh“ aus der Operette Ball im Savoy (Arrangement: Emil Gerhardt).
Gesungen, gesprochen und lebensnah interpretiert werden die musikalischen Kleinode und Parodien von den vier in Berlin lebenden Sängern Jan Remmers, Joachim Vogt, Michael Timm und Oliver Gawlik, die allesamt, neben verschiedenen solistischen Engagements bzw. Lehrtätigkeiten dem Rundfunkchor Berlin angehören.
Virtuos, mit Witz und Verve und gespickt mit stimmlichen Nuancen und Überraschungen gleiten die vier Herren elegant und mit diesem unverkennbaren Charme eines edel-timbrierten Männerquartetts durch das tierische Repertoire, um den Hörer mitzunehmen auf diesen ungewöhnlichen Zoo-Trip à la Berlin, in dem es zwischendurch auch mal ganz schön menschelt. Begleitet werden sie vom australischen Pianisten, Liedbegleiter, musikalischen Leiter, Korrepetitor und Komponisten Philip Mayers, dem seine Begeisterung für diese Musik ebenso anzuhören ist wie seinen singenden Kollegen.
Kathrin Feldmann