Martlew, Zoë

Berceuse for cello and piano / Salat Babilya for solo cello without bow

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 72

Zoë Martlew passt in keine Schublade: Die Cellistin tritt solistisch und im Ensemble mit unterschiedlichen Musikstilen auf, performt mit Neue-Musik-Ensembles ebenso wie mit Pop- und Rockmusikern, arbeitet mit Elektronik- und Multimedia-Künstlern, Tänzern, Schauspielern und engagiert sich für musikpädagogische Projekte und Wettbewerbe. Sie komponiert und schreibt, tritt als Kabarettistin auf, arbeitet für Radio und Fernsehen…
So vielfältig Zoë Martlews Persönlichkeit und Tätigkeitsbereich ist, so differenziert gestalten sich auch ihre Kompositionen. Der Schott-Verlag hat nun drei ihrer Werke für Violoncello veröffentlicht, von denen die Berceuse und Salat Babilya hier zur Rezension vorliegen. Beide Werke haben die Grundidee des Wiegenlieds gemeinsam, sind aber in der Ausführung und im Charakter völlig verschieden. Schon der Titel Berceuse verrät den träumerischen und melodiösen Gestus der Komposition für Cello und Klavier. Das Stück ist nur zwei Minuten lang und im romantischen Stil gehalten. Der recht schlichte gesangliche Cellopart wird durch die durchgängigen Achtelakkorde des Klaviers getragen. Die Komposition birgt keinerlei Überraschungen, eignet sich aber sicher als Zugabe oder Klangstudie.
Bereits der Entstehungshintergrund von Salat Babilya für Cello solo weckt Interesse: Zoë Martlew hat sich hier von einer gleichnamigen Komposition aus dem Irak inspirieren lassen. Diese wurde für die Oud, eine Kurzhalslaute aus dem Orient, geschrieben, um die Kinder in Bagdad während der Bombenangriffe in den Schlaf zu wiegen. Der Titel bedeutet aus dem Arabischen übersetzt „Babylonisches Gebet“.
Das Spielen ohne Bogen, „arabische“ Skalen, leere Saiten, Flageoletts und Verzierungen imitieren geschickt den besonderen, sonoren Klang und die Spielweise der Oud. Um jedoch als Cellist diesen Oud-ähnlichen Klang zu erreichen, setzt die Komposition viele Fertigkeiten voraus: den sicheren Umgang mit Vierteltönen und Glissandi, rhythmisches Geschick und vor allem ein flexibles und klingendes Pizzicato in den verschiedenen Zupftechniken. Der Beginn von Salat Babilya stellt durch viele Akkorde und Arpeggien, Verzierungen und Flageolett-Passagen über das ganze Griffbrett die Virtuosität und klangliche Vielfalt der Oud-Spieler vor. Im weiteren Verlauf kennzeichnen die oft latent mehrstimmigen Achtel- und Sechzehntelwellen den wiegenden Charakter des Stücks. Dabei verleihen Glissandi, Verzierungen und rhythmische Akzente Struktur.
Diese außergewöhnliche Komposition ist das nötige Training und die eine oder andere Blase vom Üben durchaus wert. Salat Babilya erweitert gekonnt das Solorepertoire für Violoncello und kann im Konzertprogramm einen Akzent setzen.
Die Website www.zoemartlew.com unterstreicht die schillernden Facetten der Künstlerin und bietet u.a. Klangbeispiele der hier besprochenen Berceuse und Salat Babilya.
Anna Catharina Nimczik