Begegnung

Albert Mangelsdorff: Denk ich an Bosnien.../Miniaturen / Paul Hindemith: Sonate Nr. 2 / Richard Rudolf Klein: Kontradiktion

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Melisma 7239
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 96

Manche Musikfreunde aus dem Raum Frankfurt werden sich noch erinnern an eine Reihe stark besuchter Konzerte im Hanauer Schloss Philippsruhe, bestritten vom Collegium Instrumentale Alois Kottmann, das der Violinprofessor vom ersten Pult aus leitete. Fast immer traten dabei auch Instrumentalsolisten auf, und einer war der Posaunist Albert Mangelsdorff, der ein Stück Jazzgeschichte geschrieben hat und der seinen zahlreichen Anhängern unvergesslich bleiben wird.
Schon die erste Begegnung zwischen ihm und Alois Kottmann führte zu einer langjährigen engen Freundschaft, denn es hatten sich zwei Künstlernaturen getroffen, denen nicht nur hohes instrumentales Können, sondern auch mitfühlende Menschlichkeit und eine seltene persönliche Bescheidenheit gemeinsam sind. Bei mehr als einer Gelegenheit durfte der Rezensent dies erleben; auch er wird den 2005 verstorbenen Albert Mangelsdorff nicht vergessen.
Der große Posaunist war nicht nur Interpret, sondern auch Arrangeur und Komponist, und so beginnt diese CD mit einem Stück von ihm: Denk ich an Bosnien… entstand unter dem verheerenden Eindruck, den die brutalen Ereignisse der jüngsten Balkankriege in der Seele des Humanisten und Pazifisten hinterließen. Das Werk mit seinen leise pochenden Streicherklängen gibt auch Violine und Kontrabass Raum, steht aber vor allem im Zeichen der Soloposaune: Sie durchmisst den gesamten Klangraum mit zumeist klagenden Einzeltönen und virtuosen Figurationen, aber auch mit jenen faszinierenden Doppeltönen, die nur Mangelsdorff so spielte.
Er wirkte auch mit bei seiner für Kottmann und sich selbst geschriebenen Komposition Miniaturen, die bei kunstvoller Ausarbeitung beider Parts nicht nur auf klanglichen Kontrast setzt. Vielmehr wird durch hohe tonliche Flexibilität der Posaune wie auch durch mehrstimmige Passagen der Violine (Mangelsdorff begann als Geiger!) eine Klangvermischung bei den beiden Instrumenten versucht. Und die gelingt diesem brillanten und geistreichen Frage-und-Antwort-Spiel überraschend gut. Das Werk hatte bei seiner Uraufführung einen Riesenerfolg, den auch der Frankfurter Komponist Richard Rudolf Klein miterlebte. So entstand seine Kontradiktion für Posaune, Violine und Streichorchester. In deren mehrteiligem Verlauf, verhalten beginnend und endend, wird durch Einzelvorstellung der Soloinstrumente deren Gegensätzlichkeit deutlich, im Zusammenspiel beider aber auch deren gestalterische Gemeinsamkeit. Beide Interpreten sind hier auf der Höhe ihrer Kunst.
Ein Genius Loci bei den Hanauer Schlosskonzerten war der in dieser Stadt geborene Paul Hindemith, zu dem Alois Kottmann eine besondere Affinität hat. Das spürt man bei seiner Wiederga-be der zweiten Solosonate mit lobenswert vibratoarmem, oft zweistimmigem und auch in der höchsten Lage intonationssicherem Spiel. Die Triller und die Legati, das Pizzicato-Andante und Komm, lieber Mai sind kleine Delikatessen dieser exzellenten Einspielung.
Joachim Stiehr