Rexroth, Dieter

Beethovens Symphonien

Ein musikalischer Werkführer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck, München 2005
erschienen in: das Orchester 10/2005 , Seite 75

Die musikgeschichtlich zentrale Bedeutung des sinfonischen Schaffens von Ludwig van Beethoven spiegelt sich nicht nur in der immer unüberschaubarer werdenden Fachliteratur wider. Zugleich behaupten die neun Sinfonien des Komponisten unangefochten ihre zentrale Stellung bei Interpreten und beim Publikum, was die Aufführungs- und Einspielungszahlen nachdrücklich belegen. Auf 136 Taschenbuchseiten sich nun des sinfonischen Gesamtwerks von Ludwig van Beethoven zuwenden zu wollen, ist so gesehen durchaus ein recht heikles Unterfangen.
Dieter Rexroth, langjähriger Leiter des Frankfurter Paul-Hindemith-Instituts und heute Dramaturg der Rundfunkorchester und -chöre von Berlin, hat sich in der Beck’schen Taschenbuchreihe „Wissen“ dieser Herausforderung indes erfolgreich gestellt. Dass Rexroth infolge des begrenzten Platzes für seine Auseinandersetzung mit dem sinfonischen Œuvre Beethovens auf den Versuch einer Nachzeichnung der komplexen Wirkungsgeschichte verzichtet hat, ist zudem einsehbar und unumgänglich. Knapp, aber nachdrücklich zeichnet der Autor die Ausnahmestellung Beethovens und dessen sinfonischen Schaffens nach, nicht ohne zumindest ansatzweise darauf hinzuweisen, dass die „Idee des Fortschritts und damit der Herausforderung, durch immer wieder Neues den verheißungsvollen Weg in eine bessere Zukunft zu gewinnen, sich im Zuge seines Schaffens zu konstitutiven Faktoren des kompositorischen Denkens entwickelten“. Rexroths Hinweis, welche gefährliche Eigendynamik sich musikgeschichtlich aus dieser Tatsache ergeben sollte, ist die Kehrseite der Medaille: „Damit war das Fundament zu einer Entwicklung der Musik gelegt, deren Abhängigkeit von der Fortschritts-Idee zur Aushöhlung und schließlich Zerstörung ihrer ästhetischen Grundlagen führte.“
Im Zentrum der Einführung steht indes eine Charakterisierung des gesellschaftlich-musikalischen Standorts von Beethoven, seiner Gebundenheit an soziale, politische, wirtschaftliche und aufführungsspezifische Bedingungen ebenso wie zugleich die schon früh feststellbaren Ansätze, seine künstlerische Autonomie nicht nur werkimmanent zu untermauern. Dabei werden die Strategien des Komponisten deutlich, einerseits für einen Markt produzieren zu müssen und sich zugleich den Marktmechanismen nicht so weit zu unterwerfen, dass die musikalische Kernsubstanz seines Werks gefährdet würde. Nicht zu Unrecht spricht Rexroth von den „neun Stationen“, die die Sinfonien bei Beethoven in Abgrenzung zu Mozarts oder Haydns sinfonischem Werk einnehmen.
Bei den notwendigerweise knapp gehaltenen Charakterisierungen der Sinfonien Beethovens ist Rexroth zugleich immer bemüht, problematische Verallgemeinerungen, mit denen das Werk oft belegt wird, zumindest zu relativieren. Beispielsweise zeigt er recht überzeugend, dass im Bereich des Thematischen bei Beethoven nicht, wie so oft pauschal behauptet, Themendualismus als Grundlage des Sonatenhauptsatzes diene. Diese Vorstellungen eines „dialektischen Modells“ träfen bei Beethoven zwar auf die 3., 8. und 9. Sinfonie zumindest eingeschränkt zu, während der Autor bei der 5. und 7. Sinfonie eine „Neigung zur Monothematik“ feststellt. Das Epochale von Beethovens Sinfoniekonzeptionen wird aus den verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet. Zugleich gelingt es am Beispiel der Eroica, das Verständnis des Lesers für die Problematik des Programmatischen bei Beethoven zu schärfen, die die ästhetische Diskussion des 19. Jahrhunderts so nachhaltig prägen sollte.
Unter der Überschrift „Neun Symphonien – ein Weg und seine Stationen“ analysiert der Autor unter Verzicht auf Notenbeispiele im zweiten Teil seines Buchs nach der Charakterisierung der Voraussetzungen die einzelnen Kompositionen. Trotz des begrenzten Raums, der umfassende Betrachtungen per se ausschließt, gelingt es Rexroth auch hier unter weitgehendem Verzicht auf Fachvokabular dem Leser das jeweils Spezifische der einzelnen Sinfonien näher zu bringen.
Walter Schneckenburger