Budde, Gunilla / Mareike Witkowski

Beethoven unterm Hakenkreuz

Das Oldenburgische Staatsorchester während des Nationalsozialismus

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Isensee-Verlag, Oldenburg 2007
erschienen in: das Orchester 07-08/2008 , Seite 59

Dieses Buch ist eine fleißig recherchierte Chronik, erstellt anhand ausführlicher Interviews mit Kindern, noch lebenden Freunden derer, die dabei waren, indirekten Zeitzeugen, umfassenden Archivmaterials und bereits existierender Untersuchungen zu Teilaspekten des Themas „Musik im Nationalsozialismus“. Dass grundlegende Untersuchungen zum Thema auch im Anhang unerwähnt bleiben, verwundert einerseits, fügt sich aber dem weithin privaten Ton dieser Untersuchung ein. Sie entstand aus Anlass des 175. Geburtstags des Oldenburgischen Staatsorchesters auf Anregung des Orchesters. Es ist die zweite Generation, die sich des Themas annimmt, und sie muss dabei weniger mit Scham und anderen Verdrängungsgründen kämpfen, als es vordem der Fall war. Es hat allerdings den Anschein, als zöge die nützliche zeitliche Distanz auch einen Mangel an Betroffenheit nach sich.
Die drei Hauptkapitel des Buchs befassen sich mit der angeblich schleichenden Einflussnahme der NSDAP und ihrer Unterorganisationen auf das Theaterleben der Stadt, die ja früh eine der Hochburgen des Nationalsozialismus war. Es gab Widerstände von liberaler Seite gegen die Vereinnahmung, aber „der Übergang […] in die nationalsozialistische Kulturhoheit verlief somit reibungslos“. Oldenburg war eben nicht „untyisch“. Es geht um Dinge wie das Aufführungsverbot von Benatzkys Weißem Rössl wegen latent-staatsfeindlicher Inhalte, um Spielplanbeeinflussungen weg von der Moderne, hin zum Völkisch-Nationalen, um die Ausrichtung der „Führungsriegen“, die sich vor dem hochpolitischen Hintergrund bisweilen ausnehmen wie die normale Theaterintrige. Auch die Normalität der mit fröhlichen Gruppenfotos bebilderten Sommer auf Borkum, wo die Hilfsmusiker des Orchesters in der Kurkapelle spielten. Dass Borkum sich schon sehr früh rühmte „judenfrei“ zu sein, erfährt man, dass das antisemitische Borkumlied dem mit einer Jüdin verheirateten Trompeter die „Luft für seine Trompete“ genommen haben wird, wird vermutet, aber „dies war offenbar nur ein großer Wermutstropfen in einer im Übrigen entspannten Zeit“.
Auch wenn das Buch durchaus die Fragen nach dem historischen „wer, was und wie“ zur Sprache bringt – die Art dieser Sprache ist es, die nicht selten befremdet. Da heißt es in der Einleitung: „Auch wenn hier, anders als bei den großstädtischen Orchestern, die personellen und künstlerischen Verluste durch die Entlassung von jüdischen Musikern keine so großen Lücken schlugen, zeigte sich der Einfluss des Regimes früh und wurde mehr. […] Das Hakenkreuz am Theaterhimmel war nicht zu übersehen.“ Solche Relativierung scheint doch dem historischen Geschehen nicht gerecht zu werden. Vielleicht reicht unsere Sprache nicht. Aber ein Satz wie „Die Zumutungen für Juden waren mittlerweile kaum noch zu ertragen“ ist problematisch im Kontext des Jahres 1941. Es waren keine „Zumutungen“ und sie waren schon gar nicht „zu ertragen“! Dass es eine Zeit des Terrors, der Angst war, wird man allenfalls wie durch einen Vorhang gewahr. Richtig: In der unheilen Welt gab es auch die heile Welt – aber es herrschte die Barbarei. Das bleibt ungesagt. So bleibt dieses Buch wohl nur von regionalem Interesse: „Weißt du noch, damals?“
Günter Matysiak