Hiemke, Sven (Hg.)

Beethoven Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2009
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 61

Wieder ein Handbuch über einen Großen der Musikgeschichte, einen, der bis heute mehr Fragen aufwirft, als Antworten bereithält: Beethoven, gleichzeitig populär und elitär, Herausforderung für Interpreten aller Generationen, vom Publikum aller Epochen ebenso geliebt wie häufig missverstanden. Über keinen anderen Komponisten – außer vielleicht Wagner – ist so viel geschrieben, weltweit geforscht und auch spekuliert worden. Er hat selbst wenig schriftliche Zeugnisse hinterlassen und wenn, verdunkeln sie eher, als dass sie erhellen. Natürlich gibt es Briefe, wie den an die “Unsterbliche Geliebte”, deren Identität bis heute ungeklärt ist. Es gibt Skizzen- und Tagebücher, und aus den letzten zehn Lebensjahren die Konversationshefte, zudem Kritiken in Fachzeitschriften und verbürgte Berichte von Zeitgenossen.
Doch steht die Musikwissenschaft vor der eigentlich unlösbaren Aufgabe, gesicherte Erkenntnisse aus einer Fülle von zeitgenössischen Äußerungen, Anekdoten, Mutmaßungen oder auch Fehlinformationen herauszudestillieren. “Heikle Balanceakte” nennt der Herausgeber daher die Annäherung an Beethoven. Dass dennoch der Versuch gemacht werden müsse, den neuesten Stand der Forschung zu präsentieren, steht außer Frage.
Beethoven – widersprüchlicher Charakter als Mensch, enigmatisch in seinen Werken, vor allem den späteren, die er vollständig ertaubt schuf. Sein Schüler Carl Czerny, der übrigens sein 5. Klavierkonzert uraufgeführt hat, berichtete schon 1817, Beethovens Taubheit sei so stark, “dass er auch die Musik nicht mehr vernehmen kann”.
Das Handbuch stellt drei große Blöcke vorrangig heraus: Die Symphonien, die noch für Brahms so exemplarisch waren, dass er es spät erst wagte, selbst eine Symphonie zu komponieren; die Klaviersonaten, in denen Beethoven jede überlieferte Form sprengte und Allerpersönlichstes ausdrückte; und schließlich die Streichquartette, von denen vor allem die späten, in Taubheit und Einsamkeit komponierten, bis heute rätselhaft scheinen, die seinen Zeitgenossen aber völlig unverständlich, ja “bizarr” vorkamen.
Vorangestellt ist ein großer Aufsatz von Martin Geck, der die verschiedenen Aspekte von Beethovens Leben und Werk im Spiegel eigener Erkenntnisse und einer Fülle von Literatur bündelt. Aber auch die Wirren um die einzige Oper Fidelio und, selbstverständlich für ein Handbuch, die Nebenwerke werden ausführlich behandelt und vieles neu datiert. Dabei kommt manche Kuriosität, manches bisher Unbekannte ans Licht. Von den rund ein Dutzend Autoren – leider erfährt man nichts über sie – ist ein umfängliches Kompendium an Wissen zusammengetragen worden, und wer in den einzelnen Aufsätzen nicht findet, was er sucht, kann sich an die überbordenden Literaturverzeichnisse halten. Eine Zeittafel, die gleichzeitige Ereignisse aus Kunst und Politik einbezieht, ein akribisches Werkverzeichnis und ein Namenregister verstehen sich von selbst.
Das Handbuch wendet sich, wie die vorangegangenen, eher an Fachleute als an Laien und ist beides: meist erhellende, oft spannende, zuweilen auch beschwerliche Lektüre und vor allem unentbehrliches und verlässliches Nachschlagewerk.
Ursula Klein