Lockwood, Lewis

Beethoven

Seine Musik. Sein Leben

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2009
erschienen in: das Orchester 03/2010 , Seite 60

Beethoven-Monografien gibt es viele – wie also ist die erstmals 2003 erschienene Arbeit des amerikanischen Musikwissenschaftlers Lewis Lockwood einzuordnen? Dass die Publikation für den Pulitzerpreis nominiert war, sagt zunächst einmal nichts über ihre wirkliche Qualität aus, und faktisch bietet der Autor im Vergleich zu der Biografie Maynard Solomons (1977, deutsch 1990, ebenfalls entsprechend nominiert) nicht wirklich neue Erkenntnisse, da seither nicht viele neue Quellen aufgetaucht sind. Doch wo Solomon Beethovens Charakter und Leben psychologisch zu erschließen sucht (womit er von jeher polarisierte), hält sich Lockwood an historisch gesicherte Fakten und verlegt seinen Schwerpunkt bewusst auf jenen Bereich, der bei Solomon ebenso bewusst eher weniger berücksichtigt wurde – die Musik. Wir haben hier also eine ganz typische Leben-und-Werk-Monografie englischer Tradition vorliegen, eine insgesamt auf hohem Niveau angesiedelte, gut lesbare Studie, die Beethovens biografische Entwicklung, seinen historischen, politischen und kulturellen Hintergrund und die Verwebung dieser Aspekte mit seinem Schaffen in den Fokus rückt.
Ein Bereich jedoch fehlt dem Rezensenten – die ausreichende Berücksichtigung des musikhistorischen Hintergrunds. Wieder wird Beethoven als Schöpfer des romantischen Lieds gefeiert, ohne den historischen Hintergrund auch nur anzureißen, geschweige denn zu problematisieren. Doch auch Beethoven komponierte nicht im luftleeren Raum, sondern war stark von einer musikhistorischen Tradition geprägt, die er zwar später abzustreifen suchte, die aber als Entwicklungslinie immer im Hintergrund präsent sein sollte. Es ist dies ein typischer Mangel der meisten Monografien großer Komponisten, da die Erforschung des musikhistorischen Umfelds wenigstens genauso viel Aufwand und Recherche erfordert wie die Befassung mit einem einzelnen Komponisten, zumeist gar mehr.
Bei einer Studie wie der vorliegenden können naturgemäß viele Werke nur am Rande erwähnt werden, etwa die Volksliedbearbeitungen, Jugendwerke, selbst die Violinromanzen. Und gerade hier macht es sich der Autor viel zu leicht, qualifiziert immer wieder einmal schlicht ab, statt die Entstehungshintergründe, die Traditionslinien, die vielleicht schlicht vorhandenen äußeren Erfordernisse genügend zu beleuchten, die zu einem besseren Verständnis der Werke hätten führen können. Ich als Leser möchte nicht bevormundet werden von irgend jemandes Meinungen über gewisse Werke (selbst wenn mir ein Harvard-Professor gegenübersteht). In merkwürdigem Maße widerspricht dieses Konzept doch der vom Autor selbst sich auferlegten Zurückhaltung von Wertungen im biografischen Bereich.
Den Lesefluss auflockernde Abbildungen, einige Notenbeispiele, vorbildliche Register sowie eine kurze Bibliografie komplettieren professionell den Band.
Jürgen Schaarwächter