Feldman, Morton

Beckett Material

Orchestra / Elemental Procedures / Routine Investigations

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 7325 2
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 67

Beckett Material – der Titel klingt nach Fragmenten oder Studien in Hinblick auf Neither – die Oper, die Morton Feldman 1977 über 16 Zeilen eines Texts von Samuel Beckett komponiert hatte. Tatsächlich aber sind die drei Werke, die auf dieser CD veröffentlicht sind, eigenständige, in sich abgeschlossene Kompositionen, die zwar im Kontext von Neither entstanden, die aber, wie der Komponist selbst sagte, dort gar nicht verwendet wurden.
Bewegte Statik, Zustandsfolgen ohne Zielführung: Man erlebt in den 1976 entstandenen Kompositionen für unterschiedliche Klangformate inklusive Chor und Solo-Sopran viel Feldman-Eigenes: Diverse Aggregatzustände meist ruhiger, kleinteiliger Art, die sich in der Totalität des Werks wechselseitig neutralisieren. Orchestra ist ein Kosmos von je parzellierten Intonationen einigermaßen homogenen Profils, die nur ab und an herausstechen, aber letztlich wie alles andere in den Bildausschnitt der Feldman-Sonorität integriert sind. Ein Klangfries feiner Detailarbeit zieht am Ohr des Zuhörers vorbei mit klarer Tonhöhen-topografie in Gestalt der bekannten, sachten Terrassierungen: mit einigen wenigen Bewegungsauffälligkeiten etwa dynamischer Variabilität (Crescendi) und Perpetuum-artiger Figuration. In toto ein besinnlicher Klangprospekt, dem die kühle Kargheit und Lakonik Becketts gänzlich abgeht. Statt Leere und resignierenden Verhaltenseins zurückhaltende Fülle des Wohllauts und Spannungsminimierung.
Feldman und die menschliche Stimme ­– das ist eine großartige Synthese, die vielleicht nur noch mit der Vokalität bei Luigi Nono vergleichbar ist. Das Mosaikhafte instrumentaler Klangfiguren wird in Elemental Procedures für die Solo-Stimme aufgehoben. Die Arretierungen des Feldman’schen Formatierens gelten hier nur für die Summtöne des Chors und die Instrumental-Interjektionen. Die Solostimme schwebt über dem Geschehen in teils extremer Höhe, bricht aber nicht in expressive Bereiche ein. Dennoch ist eine Art physio-haptischer Nachdruck gegeben, der etwa der Nono’schen Sphären-Vokalität fehlt. Kurzfristig singt die Solostimme gar textiert.
Routine Investigations, ein Sextett für Holzbläser, tiefe Streicher und Klavier, ist am ehesten Studie: ein Raster perpetuierlicher Bewegungen, die auf kurzer Strecke auch in den beiden anderen Stücken auftauchen.
Die Herausforderung der extremen Höhe samt minimierter Lautstärke ist im Gesang an mancher Stelle zu bemerken, obwohl Claudia Barainsky und die anderen Musiker alle Schwierigkeiten exzellent meistern. Man spürt, welchen Normalitäten solche stehend-bewegte Sachtheit abgerungen ist. Der Chor und das Orchester bieten unter Peter Rundels Leitung blendend Ausgehörtes und lassen das Feldman’sche Gehen ohne sich zu bewegen in nachdrücklicher Dezenz erscheinen.
Bernhard Uske