Bassoon Extravaganza

Mit Werken von Bach, Telemann, Mozart, Weber u. a.

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Camerata CM-15036-7, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 07-08/2005 , Seite 93

Der weltweit bekannte Fagottsolist, Kammermusiker, Professor und Dirigent Milan Turkovic hat seinen bislang produzierten 43 CDs mit solistischer oder kammermusikalischer Literatur nun ein fulminantes Doppelalbum hinzugefügt. Die von November 2003 bis Januar 2004 von einem japanischen Team in Wien aufgenommenen und bei Camerata Tokyo herausgebrachten Werke für Fagott und verschiedenste Kammermusikpartner sind zwar überwiegend recht bekannte Stücke, kommen aber in völlig neuen Bearbeitungen daher: die Sonaten von Telemann und Saint-Saëns mit begleitender Harfe (Naoko Yoshino) anstelle von Cembalo oder Klavier, das Andante e rondo ungarese von Weber mit Streichquartett (Wiener Phiharmonia Quartett) anstelle eines Orchesters. Alle Bearbeitungen lassen die Stücke in neuem Licht erscheinen. Bei Weber wird das Solo-Fagott zum Primus inter Pares, bei Telemann wird die dynamische Balance, wie sie seinerzeit zwischen Barockfagott und Cembalo bestand, neu hergestellt und bei Saint-Saëns bieten sich impressionistische Harfenklänge geradezu an. In Mozarts KV 292 wird das Cello (Tamás Varga) durch Stimmentausch und kleine Kadenzen vom Begleiter zum ebenbürtigen Partner aufgewertet. Nicht unbekannt ist die Fassung von Bachs BWV 1013 als Solopartita für Fagott statt Flöte, Turkovi´c streicht mit wohldurchdachter Agogik die Bach’schen Strukturen deutlich hervor. Während er sich hier mit Verzierungen weitestgehend zurückhält, bietet er bei Telemann davon eine fantasievolle Auswahl an.
Originalkompositionen sind Bachianas brasileiras Nr. 6 (1938) von Villa-Lobos für Flöte (Wolfgang Schulz) und Fagott, Trasfigurazione per fagotto solo op. 42 (1995) von Rainer Bischof, ein ebenso für Turkovic geschriebenes Zwölftonwerk mit auch avantgardistischen Techniken wie die drei Bagatellen vom Pianisten der Aufnahmen Roland Batik, in denen der bekennende Jazzliebhaber Milan Turkovi´c sich gekonnt in diesem klassischen Musikern meist eher fremden Genre ausleben kann.
Die Stücke mit vokalem Partner und Klavier sind die eigentlichen Entdeckungen dieses Albums: Bei L’Invitation au voyage (1870) von Emanuel Chabrier spielt das Fagott die Rolle der männlichen Stimme gegenüber dem gesungenen Sopran (expressiv mit herrlich dunklem Timbre: Ildikó Raimondi) in den beschwörenden erotischen Liedtexten. Eine zum lauten Lachen animierende Köstlichkeit ist Der (sic!) tote Fagott von Konradin Kreutzer, eine ziemlich blutige Satire auf mittelalterliche Ritterromanzen mit vier Toten in acht Minuten. Turkovic schlüpft hier streckenweise in karikierender Manier in die Rolle des Hanswursts („der hat ein groß Fagotto, das bläst er gar wundersam“), während Robert Holl die schauerliche Ballade mit ironisierendem Witz („du schnarrender Baßgeselle, nun bist du auf ewig verstummt“), aber stets nobler Stimme dem zitternden Hörer vermittelt. In der terzenseligen Kadenz verschmelzen Baritonstimme und Fagott-Ton zu einer neuen Klangvariante („mit schrecklichem Geisterschalle der tote Fagott erklang“).
Alle mitwirkenden Künstler werden von Turkovi´c im (leider nur englischen) Booklet mit warmen Worten persönlich vorgestellt, während Robert Buschek die Komponisten und Werke beschreibt, wobei seine einleitende Bemerkung, das Fagott habe in den vergangenen zwei Jahrhunderten nur die Rolle eines exotischen Fremdlings auf der Bühne gespielt, deshalb habe man endlich mal eine Doppel-CD diesem tiefstimmigen Außenseiter gewidmet, ein leicht ungläubiges Kopfschütteln hervorruft. Der Weltbürger und große Künstler, der tatsächlich Immenses für das Image des Fagotts geleistet hat, lächelt uns im Smoking aus der 42nd Street NY an und beweist, dass Bläser jenseits der sechzig topfit sein können. Sein Fagott ist alles andere – nur nicht tot…
Stephan Weidauer

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