Henze, Hans Werner
Ballett-Variationen / Concertino / Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber / Kammerkonzert / Sinfonisches Zwischenspiel aus dem lyrischen Drama “Boulevard Solitude”
Dies ist die dritte und letzte? Folge der bei Wergo erscheinenden Reihe mit frühen Orchesterwerken Hans Werner Henzes. Beschäftigten sich die ersten beiden CDs vorwiegend mit Kompositionen aus den fünfziger und sechziger Jahren, so kehrt die jüngste Veröffentlichung zu den Anfängen von Henzes uvre zurück und präsentiert einige der ersten Verlautbarungen des jungen Komponisten auf dem Gebiet der Orchestermusik und des Instrumentalkonzerts.
Erstmalig auf Tonträger erscheint beispielsweise Henzes offizielles opus 1, das Kammerkonzert für Flöte, Klavier und Streicher von 1946. Und es ist gerade dieses 13-minütige Stück, das als die große Überraschung der Einspielung gelten kann. Zwar hat Henze hier noch nicht zu einer eigenen Tonsprache gefunden noch nicht einmal der für ihn später so wichtige Einfluss Strawinskys ist hier zu spüren. Doch beeindruckt die Innigkeit der melodischen Erfindung vor allem im Mittel-satz ebenso wie ihre Griffigkeit. Die leicht melancholische Lyrik, die Henzes spätere Musik bis in die Gegenwart hinein beherrschen sollte, erscheint hier bereits vorgeprägt. Der junge Pianist Christopher Tainton vermag in diesem gelungenen Gesellenstück ebenso zu überzeugen wie im ein Jahr später entstandenen Concertino. Die spielmusikhafte Motorik dieser Komposition findet sich in Henzes reifen Werken kaum je wieder, scheint seiner künstlerischen Persönlichkeit eher zu widersprechen.
In den beiden vom Ballett inspirierten Werken den Ballett-Variationen von 1949 und Rosa Silber von 1950 findet dann Henzes tiefe Liebe zur Musik Igor Strawinskys ihren Ausdruck. Zur Komposition der Variationen wurde Henze durch den Besuch eines Gastspiels des Sadlers Wells-Balletts inspiriert, bei dem Choreografien von Frederic Ashton zu Strawinskys Scènes de Ballet und César Francks Variations Symphoniques gezeigt wurden. Elemente dieser beiden Werke finden sich in Henzes Musik wieder bis hin zu dem von Franck entlehnten Part für Soloklavier. Peter Ruzicka und das NDR Sinfonieorchester spielen in beiden Fällen die revidierten Versionen, die Henze in den neunziger Jahren anfertigte. Im Falle der Ballett-Variationen handelt es sich gar um eine Neuschrift; es wäre interessant, sie einmal mit der ursprünglichen Fassung vergleichen zu können.
In den vier Zwischenspielen aus der Oper Boulevard Solitude tritt Henze dann als ausgereifter Komponist vor uns obwohl er selbst im Interview sagt: nicht ganz. Doch seine unverwechselbare künstlerische Physiognomie ist bereits in den ersten Takten hör- und spürbar. Ruzicka bietet eine betont dramatische, sehr spannungsgeladene Interpretation, die gleichwohl den fatalistischen Unterton der Musik nicht vernachlässigt.
So schön es ist, dass nun Henzes wichtigste orchestralen Frühwerke greifbar sind: Könnte man sich nun nicht auch seinen späteren Orchesterkompositionen zuwenden? So vieles gibt es, was noch der Veröffentlichung auf CD harrt: von Los Caprichos bis zu den Sinfonien Nr. 8 und 10.
Thomas Schulz