Bach, Johann Sebastian

Bach in Jakobi

Sechs Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001–1006

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Auris Subtilis as 5021-2000
erschienen in: das Orchester 12/2008 , Seite 69

Der Jahrzehnte dauernde Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Chemnitzer Stadtkirche St. Jacobi soll 2012 zum 600-jährigen Bestehen des gotischen Bauwerks abgeschlossen sein. Eine Benefiz-CD mit den Werken für Violine solo von Johann Sebastian Bach hilft, das ehrgeizige Ziel zu erreichen. Doch diese Einspielung ist auch in tontechnischer und musikalischer Hinsicht bemerkenswert. Sie entstand in der Jacobikirche. Dabei wurde klangpuristisch auf eine Nachbearbeitung verzichtet. Der Hörer hat so den Eindruck, in einem Kirchenschiff zu sitzen. Bald gewöhnt sich das Ohr an den nie störenden Hall, der zur Klangfülle dieser CD beiträgt. Hierbei wird bewusst, dass Musik nie im „neutralen“ Raum eines Studios erklingt, sondern an einen Raum mit bestimmten Qualitäten gebunden ist.
Hartmut Schill spielt zwar nicht auf einer Barockgeige, hat sich aber intensiv mit historischer Aufführungspraxis beschäftigt. Er sieht sich als „Urenkelschüler“ von Joseph Joachim, der erstmals wieder Bachs Solowerke im Konzertsaal aufführte. Dabei verbindet Schill modernes Violinspiel mit der von Harnoncourt und vielen anderen entwickelten historischen Aufführungspraxis zu einem eigenen, überzeugenden Weg, der insbesondere hier in der Akustik eines Kirchenraums zu einem begeisternden Ergebnis führt. Während Barockgeigen den rhythmischen Impetus und die Klarheit der Artikulation betonen, neigt das moderne Violinspiel zur Darstellung der Musik als Fluss und Kontinuum.
Wer nun fürchtet, dass Helmut Schill verführt durch die hallige Akustik des Kirchenraums eine Klangorgie entfesselt, der kann beruhigt sein: Im Gegenteil, Schill arbeitet einzelne Motive klar heraus, lässt das polyfone Gegenüber von Themen bewusst werden und verwirklicht so jene „Klangrede“, von der Harnoncourt als erster schrieb. Aber dennoch vernachlässigt er nicht das Klangliche, stellt hohe und tiefe Klangräume gegenüber, baut Spannungsbögen auf und entwickelt ein schattierungsreiches Klanggeschehen, dem man von Anfang bis zum Schluss gefesselt zuhört.
Zu den besonderen Vorzügen seines Spiels gehört, dass diese Musik nicht als komplizierte „Kopfmusik“, sondern voller Emotionen dargeboten wird. Die Fugen erscheinen so nicht nur als Meisterwerke musikalischer Konstruktion, sondern als expressiver Gefühlsausdruck voller Brechungen und innerer Zerrissenheit. In den Tanzsätzen zeigt Schill die Nähe selbst dieser Musik Bachs zum Musikantischen. Stupende Virtuosität entfaltet Schill in den Presto-Sätzen, etwa dem Schlusssatz der g-Moll-Sonate.
So kann man dieser CD eine weite Verbreitung wünschen, da sie nicht nur zum Wiederaufbau der Chemnitzer Jacobikirche beiträgt, sondern auch die Entdeckung eines großartigen Solisten ermöglicht.
Franzpeter Messmer