Bach in Brandenburg

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Klanglogo KL 1502
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 68

Die historisch informierte Aufführungspraxis ist eine Erfolgsgeschichte in der komplizierten Wechselbeziehung von Musikpraxis und Musikwissenschaft. Weil man hier zusammengearbeitet hat, haben sich deren Erkenntnisse durchsetzen können und sind inzwischen nicht mehr nur Spezialensembles vorbehalten.
Eine Bestätigung findet das in Dokumenten wie der vorliegenden CD des Brandenburgischen Staatsorchesters aus Frankfurt (Oder) unter der Leitung seines Chefs Howard Griffiths. Allerdings musiziert hier nur eine kleine (spezialisierte) Streicher-Auswahl, nicht jedoch das große Staatsorchester. Sie wird ergänzt durch vorzügliche Solisten aus den eigenen Reihen: Klaudyna Schulze-Broniewska (Violine), Elisabeth Zaim (Querflöte), Ruth Pfundstein-Langes (Oboe), Thilo Hoppe (Trompete) sowie dem Blockflötisten Isaac Makhdoomi und dem Solo-Cembalisten Sebastian Wienand als Gäste. Letzterer erhält Gelegenheit zu virtuosem, bemerkenswert differenziertem Spiel im leider selten aufgeführten Cembalokonzert G-Dur Wq3 von Carl Philipp Emanuel Bach und im 5. Brandenburgischen Konzert des Vaters Johann Sebastian. Ferner erklingt noch das 2. Brandenburgische Konzert.
So stilsicher die Musik gespielt wird, so sehr kranken die beiden Kompositionen mit Solo-Cembalo an einem Mangel, den sie mit anderen Aufnahmen gemeinsam haben: Das Cembalo tritt gegenüber den Mitspielern klanglich zu stark zurück; im 5. Brandenburgischen Konzert verschwindet es völlig hinter den beiden anderen dominanten Soli (Violine und Flöte) und ist fast nur in der großen Solokadenz des ersten Satzes zu hören. In Kombination mit offensichtlich modernen Instrumenten (im Booklet gibt es hierzu keinen Hinweis) hätte man wohl aufnahmetechnisch nachhelfen müssen; so bleibt dem Hörer nur Mitleid mit den vergeblichen Mühen des durchgehend geforderten Cembalisten. Auch das Continuo-Cembalo (Arno Schneider) ist im 2. Brandenburgischen Konzert nur im Mittelsatz zu ahnen.
Ansonsten aber zeigt die CD in allen drei Stücken, welch hohen Musizierstandard man heute auch in der „Provinz“ vorfindet. Die vierzehn ausgewählten Streicher des Staatsorchesters präsentieren sich in temperamentvoller Musizierlaune und sind den Anforderungen der Historischen Spielpraxis bestens gewachsen: mit klarer Phrasierung, ausgefeilter Dynamik und feiner Dosierung des weitgehend vibratolosen Spiels, ohne dass das Ganze akademisch trocken wirkt. Über Tempi kann man immer streiten, aber begründbare Bedenken lösen allenfalls die beiden schnellen Ecksätze des 5. Brandenburgischen Konzerts aus. Diesem singulären Werk ist ein Grundkonflikt sozusagen „eingepflanzt“; hier haben wieder einmal die Orchestermusiker über den Cembalisten gesiegt, denn die von ihnen gewählten Tempi fordern ihn bis an die Grenze der Unspielbarkeit und Unverständlichkeit. Aber, wie gesagt: Man hört davon außer in der Kadenz ja fast nichts!

Arnold Werner-Jensen