Paskow, Viktor
Autopsie
Roman
Musik und Sprache habe ja vieles gemeinsam. Trifft man nicht den richtigen Rhythmus, sorgt das schnell für schlechte Stimmung, sowohl beim Publikum als auch beim Leser, die sich gelangweilt abwenden bzw. das Buch zur Seite legen. Dass man beide Elemente zu einem Roman kombinieren kann, zeigt Viktor Paskow in Autopsie. Das Buch erzählt die Geschichte des Klarinettisten und Saxofonisten Charlie, der sich in einer Amour fou zur rothaarigen Ina befindet. Auf mehreren Handlungs- und Zeitebenen entspinnt sich eine Handlung, die Charlie in den unterschiedlichsten Gemütsverfassungen zeigt: von alkoholbedingter Verzweiflung bis zur sexuellen Ekstase. Ein Großteil des Buchs besteht aus eindeutigen Schilderungen sexueller Handlung, die oft mit Metaphern aus der musikalischen Welt kombiniert werden. Ina und Charlie lieben sich im Stil einer Jazzperformance des Gitarristen John Scofield oder haben Sex wie ein Sinfonieorchester. Sprachlich mischt sich Feuilletonjargon mit Pornografie, was manchmal doch arg schwülstig und theatralisch daher kommt (Ich will eure Solos trinken, sie auf meiner Haut spüren, komm!
Als ich fertig war, legte ich mich neben sie
und mein Herz schlug prestissimo.).
Charlie verliert als Musiker seinen Ton auf der Klarinette, findet ihn aber durch Inas erotische Ausstrahlung wieder, was sie nicht davon abhält, ihn zu verlassen. Natürlich versinkt der Künstler anschließend in existenziellem Elend inklusive Alkoholmissbrauch, Trostsuche bei anderen Frauen und weiteren sexuellen Ausschweifungen, bevor ein Eifersuchtsdrama mit gewalttätigem Ende den Roman zum Abschluss bringt. Große Dramatik also, die generell etwas zu dick aufträgt und nicht wirklich erkennen lässt, worum es in diesem Buch hauptsächlich geht. Die Handlung wirkt oft nur wie ein Rahmen für die Schilderungen sexueller Praktiken, die auch durch die Verwendung von musikalischen Fachbegriffen nicht davor bewahrt werden, knapp an der Pornografie vorbei zu schrammen. Die Schilderung des verzweifelten Künstlerdaseins gerät klischeehaft. Stoppelbärtig und kopfschmerzgeplagt von der vorherigen Nacht, versucht Charlie sich in der Anfangssequenz durch ein kräftiges Frühstück zu kurieren, erbricht sich anschließend und findet nur Ruhe, indem er sich Schnapsreste aus dem häuslichen Vorrat zu Gemüte führt. So stellt sich Lieschen Müller das Leben als Musiker vor, aber muss man wirklich so dermaßen in Stereotype versinken, um Gemütszustände darzustellen?
Allen kritischen Anmerkungen zum Trotz kann man dem Buch einen gewissen Unterhaltungswert nicht absprechen und die überbordende Handlung sorgt immer wieder für Überraschungen. Große Literatur wie der Klappentext ankündigt ist das sicherlich nicht, aber für einen spaßigen Lesenachmittag reicht es allemal, selbst wenn man sich nur am Einfallsreichtum des Autors bezüglich Sex und Musik verbindender Metaphern ergötzt.
Martin Schmidt