Heinz Winbeck

Aus der Enge in die Weite

Streichquartette Nr. 1–3. Leopold Mozart Quartett

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin GEN 22779
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 77

Die Einspielung von 2022 präsentiert drei Streichquartette des deutschen Komponisten Heinz Winbeck (1946–2019). Seine äußerst expressive, deutlich aus der klassisch-romantischen Tradition kommende Tonsprache versteht sich als Antwort auf eine Beliebigkeit, wie der Komponist sie in neuerer Musik häufig wahrnahm.
Winbecks Suche nach eigenem musikalischem Ausdruck war gebunden an existentielle Fragen und immer wieder auch an seine Auseinandersetzung mit dem Thema Tod. Nach 1996 beschloss er, seine kompositorische Tätigkeit zu beenden. „Vielleicht sollte mehr und auch länger geschwiegen werden, verbal und auch musikalisch“, schrieb er 1995, „um erst wieder zu hören, was der wunden Zeit nottut.“ Erst 2009 gab es nach langer Pause und auch auf Drängen des Dirigenten Dennis Russell Davies einen letzten großen musikalischen Ausstoß, eine 5. Sinfonie.
Winbecks drei Streichquartette auf dieser Einspielung entstanden in einer früheren Phase – zwischen 1979 und 1984 – und haben einen äußerst strengen, expressiven und dramatisch aufgeladenen Tonfall. Der Einsatz des Instrumentariums ist bezüglich der Textur, des konkreten Zusammenspiels der Instrumente und rhythmisch im Sinne einer weitergeführten klassischen sinfonischen Tradition zu verstehen und zeigt meisterhaften Umgang mit dem Genre. Er zeigt das Ringen um Neuformulierungen mit einem im öffentlichen Diskurs für »verbraucht« erklärten musikalischen Material. Es ist nicht der Gestus der akademischen Neuen Musik, sondern weitergeführte Tradition, schlank, rhythmisch, fluide und überraschend, kompositorisch ausgewogen.
Das Leopold Mozart Quartett interpretiert diese hochexpressive Musik im besten Sinne klassischer Quartetttradition – virtuos, farbenreich, rhythmisch prägnant und fesselnd. Titel der Einspielung ist: Aus der Enge in die Weite. Grundstimmung dieser Musik bleibt jedoch äußerste Beklemmung, Weite scheint eher die unerreichte, ideale Qualität im Ringen um Befreiung durch die Formulierung dieser Musik. Eine interessante Bereicherung des Repertoires.

Anja Kleinmichel

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