Aufforderung zum Tanz
Werke von Carl Maria von Weber, Joseph Lanner, Gioachino Rossini, Johann Strauß Sohn, Franz Lehár, Eduard Strauß, Joseph Strauß und Carl Michael Ziehrer
Neben Johann Sebastian Bach ist vermutlich Johann Strauß häufigster Namenspatron von Orchestern und Ensembles. Seit 1972 hält das Alt-Wiener Strauss-Ensemble Stuttgart einen Platz in dieser Reihe; in gewisser Hinsicht einen besonderen: Arthur Kulling, sein Gründer, hat sich zum Ziel gesetzt, die originalen kleinen Besetzungen des Strauß-Orchesters zu rekonstruieren. Das bedeutet: sechs Streicher, einschließlich des leitenden 1. Geigers das ist inzwischen Ralph Kulling, der Sohn , vier Holzbläser und zwei Hörner. Der Klang ist also wohl authentisch und hinreichend voll (bis auf die Ausschnitte aus Bühnenwerken).
Das Programm beginnt beziehungsvoll mit Webers vorweggenommener Apotheose des Walzers, der Aufforderung zum Tanz, die man seit Berlioz als Orchesterstück im Ohr hat obwohl sie als Rondo brillant für das Pianoforte komponiert wurde und, genau genommen, absolut pianistisch empfunden ist. Danach ein Sprung über 22 Jahre zu Joseph Lanners Walzer Abendsterne; nach romantischer Eleganz wienerisches Biedermeier. Wie auch in den anderen Programmpunkten halten sich die Stuttgarter an die konzertanten Möglichkeiten in teils gewohnten, teils eigenen Seiten der Interpretation (dynamisch, agogisch). Das gilt auch für den Doctrinen-Walzer von Eduard Strauß einem seiner gelungensten Werke und besonders für Die Libelle von Josef Strauß, wobei die Polka-Mazur ganz zum Charakterstück wird.
Johann Strauß, der Namensgeber, ist natürlich repräsentativ vertreten. Zwei Kapitel Fledermaus: eine schwungvolle Ouverture und als Rarität der 1897 für Marie Renard (alias Pölzl) nachkomponierte (zweite) Csárdás. Das op. 333, der große Walzer Wein, Weib und Gesang, erklingt hier selbstverständlich mit der ganzen, mehrteiligen Einleitung, die Richard Wagner besonders gefallen haben soll. Und dann ist da noch die unverwüstliche
Tritsch-Tratsch-Polka, eine Polka schnell, die nur so vorüberfliegt. Das ist eine Übertreibung, die sich eingebürgert hat und offenbar durch alle Dirigenten der Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker sanktioniert wurde: Aus einer Schnellpolka ein Bravourstück zu machen, ohne Rücksicht auf die Herkunft als (choreografisch gestaltungsfähiger) Gesellschaftstanz. Das gilt auch für Vorwärts von Joseph und Mit Chic von Eduard Strauß und für Ziehrers Habns a Idee. Vorenthalten wird uns eine Polka française, die ja dem allgemeinen Begriff Polka am nächsten kommt.
Die vokale Auflockerung bringt mit beweglichem, nicht immer leichtem Mezzosopran Maria Theresa Ullrich, zunächst überraschend, aber im Hinblick auf seine Einflüsse nicht nur auf Schubert, auch auf Lanner durchaus gerechtfertigt mit Rossini (Cenerentola und Italienerin in Algier), später weit weniger gerechtfertigt mit Lehárs Giuditta, die erstmals 1934, also weit weg von Alt-Wien, Jarmils Novotna gesungen hat. Booklet-Autor ist Eduard Strauß, Urenkel des jüngsten Strauß-Bruders, der übrigens anno 1907 das Archiv des Strauß-Orchesters verbrennen ließ und somit sozusagen diese Rekonstruktion erst erforderlich gemacht hat. Arthur Kulling sei gedankt.
Karl Robert Brachtel