Klughardt, August / Franz Schubert

“Auf der Wanderschaft”. Suite für Orchester op. 67 / Sinfonie Nr. 3 D-Dur

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Antes BM-CD 31.9196
erschienen in: das Orchester 02/2005 , Seite 81

Live-Mitschnitte sind wieder zu Ehren gekommen im Klassik-Geschäft. Natürlich nicht zuletzt aus Kostengründen, doch auch wegen der musikalischen Intensität des Direktspiels vor Publikum. Aufs letzte Promille Studio-Perfektion verzichtet man gern, wenn so konzentriert musiziert wird wie bei diesem Dessauer Konzertmitschnitt des Mitteldeutschen Rundfunks. Vielleicht sollten Hörer zuerst den abschließenden Schubert anpeilen: So wie Golo Berg, seit 2001 Dessauer Generalmusikdirektor, mit der Anhaltischen Philharmonie Dessau dessen Dritte präsentiert – federnd gespannt, ohne Tempoübertreibung, auf Klarheit bedacht, mittelstimmengenau und formbewusst –, liefert man eine beachtliche orchestrale Visitenkarte ab. Warum freilich im Mittelteil des sympathisch bewegten Allegrettos die reizvoll sich dehnenden Achteltriolen zum Teil duolisch nivelliert werden, bleibt ein Rätsel (vor allem der Probenarbeit) – ist letztlich aber nur ein kurzer Ausrutscher.
Ob die Einspielung der Orchestersuite Auf der Wanderschaft eine CD-Premiere ist, erfährt man nicht (auch nicht im ansonsten informativen Booklet). 1895 brachte der Dessauer Hofkapellmeister August Klughardt (1847-1902) das sechssätzige Werk als Klaviersuite zur erfolgreichen Uraufführung. Zwei Jahre später erklang es dann im neuen orchstralen Aufputz in Bayreuth – am heiligen Ort von Klughardts Genius Wagner (dessen kompletten Ring er Anfang der 1890er Jahre in Dessau dirigiert hatte).
Es ist ein eigenartig lehr- und aufschlussreiches Werk. Der musikalischen Fin-de-siècle-Gegenwart mit ihren spätromantischen Auflösungstendenzen war es weit entrückt: Nein, hier wandert
Musik in sonniger diatonischer Munterkeit dahin, huldigt unverkennbar (und durchaus humorvoll) einem ungebrochenen Volkston. Vorsichtige Annäherungen an Wagner’sche Meistersinger oder Feuerzauber-Sphären bleiben punktuell. Man muss Klughardts Wandersuite nur mit Brahms’ rund vierzig Jahre älteren Serenaden und anderen parasymphonischen Mehrsätzern des späteren 19. Jahrhunderts messen, um ihr frohgemut-rückgewandtes Wesen zu ermessen. Doch immerhin: Der wonnig-idyllisch ausgekostete, bei Klughardt durchaus prägnante Volkston war damals schon wieder auf dem Weg zu kompositorischer Aktualität.
Unausweichlich erinnern Klughardts Marsch, Walzer und Ländler-Intonationen, die falschen (1. Satz, Mittelteil) und echten Kuckucksrufe, ja der ganze Wander-Topos heutzutage erst einmal an Gustav Mahlers Wunderhorn-Sinfonien. Gerade in der auffallend frischen, präzisen Dessauer Einspielung lernt man prächtig, dass es um 1900 Volkston mit und ohne innere Anführungszeichen gab. Wo der dreizehn Jahre Ältere unangefochten vor sich hin musiziert, hat Mahler seinem Volkston längst das Entfremdete, unstillbar Heillose injiziert. So zeigt die bemerkenswerte CD: Es waren auch Komponisten wie Klughardt, die den Humus für Mahlers Größe bildeten.
Michael Struck