Siblin, Eric

Auf den Spuren der Cello-Suiten

Johann Sebastian Bach, Pablo Casals und ich

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Irisiana, München 2010
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 58

Die Cello-Suiten Johann Sebastian Bachs und der katalanische Jahrhundert-Cellovirtuose Pablo Casals – ist darüber nicht längst alles gesagt? Auch wer bisher dieser Meinung war, darf zu Eric Siblins “Auf den Spuren der Cello-Suiten” greifen und genüsslich schmökern. Denn der kanadische Musikjournalist, dessen Buch seinen an einen Kriminalroman erinnernden Titel nicht umsonst trägt, erzählt die Geschichte einer Passion, die sich liest, als habe der Autor sie wahrhaft mit Herzblut geschrieben.
Siblin hatte soeben seine Tätigkeit als Popkritiker beendet, als er im Jahr 2000 bei einem Konzert aus Anlass von Bachs 250. Todestag zufällig drei der Cellosuiten gespielt von Laurence Lesser in einem Konzert hörte. Zusammen mit den Informationen, das Originalmanuskript Bachs sei nicht erhalten und erst Pablo Casals habe eine Renaissance der sechs Suiten eingeleitet, war es doch vor allem die Musik, die Siblins journalistische Neugier weckte.
Mit der unverstellten Neugier des Laien hat Siblin sich in die Materie gestürzt und ist bei ihrer Erkundung so detektivisch wie unvoreingenommen vorgegangen. Seine Spurensuche führte ihn nach Katalonien zu Casals’ Geburtsort, nach Madrid, wo Casals die Noten der Suiten als Junge in einem Antiquariat für sich entdeckte, nach Deutschland in Sachen Bach und nach Brüssel zu Mischa Maisky, der die Suiten schon mehrfach auf CD eingespielt hat. Siblin, der bislang keine Noten lesen konnte und dessen musikalische Fertigkeiten sich im Gitarrenspiel erschöpften, lernte Noten lesen, nahm immerhin so viele Cellostunden, dass er Twinkle, twinkle, little star spielen konnte. Er besuchte einen Wochenend-Workshop, bei dem er mit Bach-Liebhabern eine Kantate des Komponisten einstudierte, und eine Meisterklasse über die Suiten mit dem niederländische Cello-Altmeister Anner Bylsma. Der Zauber der Musik beflügelte ihn immens und in beinahe obsessiver Weise.
Strukturiert hat der Autor sein Buch in Kapitel nach den sechs Suiten und sie weiterhin nach den Sätzen der Suiten untergliedert. Diejenigen Unterkapitel, die mit den jeweils ersten Sätzen der Suiten überschrieben sind, sind Bachs Leben und Werk zugeeignet, die jeweiligen nachfolgenden Tänze dem von Casals. In jeder je eine Suite abschließenden Gigue reflektiert Siblin seine eigene Suche und lässt dabei seiner Imagination über diese beiden strahlenden Sterne der Musikgeschichte in kreativer und sympathischer Weise freieren Lauf.
Dass die Ergebnisse der Recherchen zu Bach und dem Mysterium seiner Suiten, von denen nicht sicher gesagt werden kann, ob sie überhaupt für Cello komponiert wurden, sowie die zu Casals und dessen Neuerfindung des Cellos als Soloinstrument nicht trocken ausfallen, lässt sich auf das große Geschick zurückführen, mit dem der Autor die beiden auch als Zeitgenossen in den Blick nimmt: Bach als Komponisten, der die Nähe zum Höfischen suchte, und Casals als Gegner des Franco-Regimes vertraten ihre je eigenen Standpunkte, die sie zeitweise äußerst entschlossen verteidigten. Wer das Buch gelesen hat, will dringend hören. Und zwar nichts anderes als Bachs Cello-Suiten.
Beate Tröger