Reiß, Gunter

Auf dem “Trödelmarkt der Träume”

Der Komponist Wilfried Hiller, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 10/2011 , Seite 60

Vorhang auf für einen zeitgenössischen Komponisten! Auf dem „Trödelmarkt der Träume“ hat Gunter Reiß sein Buch genannt, das als Würdigung zum 70. Geburtstag von Wilfried Hiller bei Schott erschienen ist. Er nimmt damit den Titel einer Komposition des Jubilars auf und formuliert das Entree zu der Welt eines Musikers, dem das Reich der Fantasie als Ausgangspunkt vieler Bühnenstücke und szenischer Werke dient. Entstanden ist das Porträt eines Theatermanns, Komponisten, Musikmachers und Musikredakteurs, das die Meilensteine seiner Karriere wie kostbare Edelsteine in einer fesselnden Plastizität und genau angelegten Analyse einzelner Werke beleuchtet. Man spürt, dass auch Reiß ein Mann des Theaters ist, so nah wird der Leser an die Bühnenwerke Hillers herangeführt. Er wird quasi zum Zuschauer.
Der Weg des Komponisten beginnt im schwäbischen Weißenhorn, wo er 1941 geboren wird. Hiller wird seine Wurzeln nicht ausreißen. Er siedelt nach München über, nimmt sich der Stadtgeschichte musikalisch mit einer Tanzsuite an und verarbeitet bayerische Stoffe. Die Begegnung mit der Musik Béla Bartóks prägt ihn, später wird er Carl Orff kennen lernen und bewundern. Zwei Mal ist er Stipendiat der Villa Massimo und trifft dabei in Rom auf Michael Ende, mit dem ihn die bayerische Herkunft und die Welt der Fantasie verbindet: Der Grundstein zu einer wichtigen, fruchtbaren Zusammenarbeit ist gelegt. So entsteht beispielsweise nicht nur Trödelmarkt der Träume und Der Goggolori, eine „bairische Mär“ mit einer spürbaren Verneigung vor der bayerischen Volksmusik, Landschaft und dem bayerischen Zungenschlag, sondern auch die Oper Der Rattenfänger. Hier wird die Hauptpartie des Spielmanns nicht von einem Sänger übernommen, sondern ein Klarinetten-Solist ist die im musikalischen Blickpunkt erzählende Figur, die zunächst kein Geringerer als Giora Feidman übernimmt. Raum für Musik zu schaffen, darin war Michael Ende ein Meister. Wilfried Hiller hat das zu schätzen gewusst und diesen Raum gefüllt.
Hiller, der vielseitige Musiker, u.a. ein ausgebildeter Schlagzeuger, ist auch ein vom Rhythmus Getriebener. Da zeigt er Wahlverwandtschaft zu Carl Orff wie auch zu dessen Affinität zu antiken, mythischen oder märchenhaften Stoffen. Hiller schreibt großes Musiktheater: zuweilen für Kinder, aber auch für Erwachsene, die sich auf die Welt der Kindheit einlassen, um in der Überhöhung durch die Kunst, durch mit Mitteln der erzählenden Musik geöffnete Türen zu neuen Dimensionen Utopien zu erkennen.
Seine Musiksprache ist dabei bodenständig geblieben. Die dem Buch beigefügte CD gibt schlaglichtartig einen Eindruck von Hillers Verwurzelung in der Musiktradition, die er jedoch für sich so entdeckt, dass er ein wahrhaft zeitgenössischer Komponist ist. Wenn der Vorhang zu einem seiner Werke fällt, werden Zuschauer entlassen, die ein Stück reicher sind: um zauberhafte Klänge, um sichtbar gewordene Fantasie und um Einsichten in das Leben.
Sabine Kreter