Nancarrow, Conlon
As fast as possible
In einem Interview von 1987 bekannte sich Conlon Nancarrow zu einer ambivalenten Haltung gegenüber Bearbeitungen seiner Studies for Player Piano für andere Instrumente. Hätte er die Arrangements für ein bis vier normale Klaviere gehört, hätte er ihnen wahrscheinlich uneingeschränkt zugestimmt und den Fortschritt der Spieltechnik heutiger Interpreten begrüßt. Denn nicht zuletzt wegen der Unzulänglichkeit damaliger Instrumentalisten hatte der amerikanisch-mexikanische Komponist in den 1940er Jahren das mechanische Klavier gewählt.
Dem stehen die vorliegenden Aufnahmen jedoch nicht nach. Auch hier werden die für Nancarrow charakteristischen komplizierten rhythmischen Vorgänge in teilweise hohem Tempo exakt realisiert. Und auch wenn die perkussiv-cembaloartige Klangfarbe von dessen Player Pianos durch die längeren Resonanzen des Flügels ersetzt ist, wird der Originalklang durch lockeren Staccato-Anschlag fast erreicht und wirkt doch etwas wärmer.
Für das gestiegene Interpretations-Niveau bürgen in erster Linie Helena Bugallo, die auch die Mehrzahl der Stücke für menschliche Hände eingerichtet hat, sowie Amy Williams die beiden hatten sich schon durch eine frühere CD (WER 6670 2) als Nancarrow-Spezialistinnen empfohlen. Zwei weitere Pianistinnen (Amy Briggs, Ingrid Karlen) treten bei Bedarf hinzu. Study No. 26 für vier Klaviere zu sieben Händen stellt mit ihren in gleichen Notenwerten fortschreitenden Akkorden vor allem Koordinationsprobleme dar. Study No. 16 und 20, in denen Nancarrow mit komplexeren Rhythmen arbeitet, verlangen äußerste Präzision und Transparenz der zeitlichen und texturalen Vorgänge. Dass das Bugallo-Williams-Duo darüber hinaus Study No. 32, deren vier Stimmen noch mit vier verschiedenen Tempi ausgestattet sind, meistert was Nancarrow für unmöglich hielt , verdient höchste Anerkennung. In Study No. 44 dagegen, dem Aleatory Canon, nutzen die beiden Pianistinnen den ihnen hier erst- und einmalig zugestandenen Interpretationsraum zu einem artikulierten, swingartigen Spiel, das dem auf Wiederholungen aufgebauten Stück gut bekommt.
Jazz-Einflüsse und polyrhythmische Komplikationen werden auch schon in Nancarrows frühen Instrumentalstücken wie dem Septet und der Suite for Orchestra (Letztere interpretiert vom WDR Sinfonieorchester Köln unter der Leitung von Stefan Asbury) hörbar beide Stücke stammen aus den 1940er Jahren. Auch die 1993 von Nancarrows Assistenten C. Sandoval aus älteren Klavierrollen transkribierten Three Movements for Chamber Orchestra verweisen auf die Anfänge von Nancarrows Komponieren, im 1. Satz sogar auf das bald wieder aufgegebene Schlagzeugorchester. Nur der 3. enthält mit seinen Trillern und Glissandi eine Vorahnung der späteren Studies for Player Piano. Im Concerto for Pianola and Chamber Orchestra dagegen, das auf ein schon von Nancarrow geplantes Konzert zurückgeht, entfacht Paul Usher, angereichert mit eigenen Ideen, ein brillantes musikalisches Feuerwerk, an dem dank des vorzüglichen Pianola-Virtuosen Rex Lawson und des mit Lust und Bravour spielenden Ensemble Modern (Ltg. Kaspar de Roo) auch Nancarrow Gefallen gefunden hätte.
Monika Fürst-Heidtmann