Schnyder, Daniel

Around the World

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BIS CD 1774
erschienen in: das Orchester 01/2012 , Seite 70

Glaubt man dem alttestamentarischen Josua, so waren es Posaunen, die die Mauern der Stadt Jericho zum Einsturz brachten. Vergleichbare Ergebnisse werden Stefan Schulz wohl versagt bleiben, aber dass er Hörgewohnheiten zum Einsturz bringt, das kann ihm füglich bescheinigt werden! Schulz, der normalerweise seine Brötchen bei den Berliner Philharmonikern verdient, ist neben dem das Sopransaxofon bedienenden Komponisten Hauptakteur bei Schnyders Multikultireise um die Welt. Crossover ist zwar durchaus populär, erwirbt sich aber nur selten die Gunst musikalischer Puristen: Zu welchem Unsinn haben Bach, Vivaldi & Co. in ihrer letalen Wehrlosigkeit aber auch nicht schon herhalten müssen!
Was andernorts als billiges Stilgemisch nur auf den Publikumsgeschmack abzielt, gerät in Schnyders Kompositionen zu höchster Meisterschaft, und ich bin mir fast sicher, dass Johann Sebastian ebenso wie Zeitgenosse Antonio verwundert, wenn nicht gar begeistert ihre Ohren aufstellen würden ob der Klanggewänder, in denen ihre Werke hier einherschreiten!
Dabei ist es durchaus nicht so, dass Schnyder nur auf seine Vorlagengeber wartet: Seine Musik ist ebenso originell wie originär, auch wenn er ihr – stets mit einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit – Elemente aus Jazz, Folk und Pop untermischt. Aber das ist eben die hohe Kunst: Man kann Stile so miteinander vermischen, dass ästhetisch höchst fragwürdige Brüche entstehen, wie sie etwa aus der Städtearchitektur des 20. Jahrhunderts hinlänglich bekannt und berüchtigt sind; man kann sie aber auch
zusammengeben wie die Zutaten zu einem guten Gericht, sodass aus der Summe der Beigaben etwas äußerst Schmackhaftes entsteht. Diese Kunst aber beherrscht Schnyder aus dem Effeff, und er wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Menschen wie Bach oder Vivaldi eben nur ihre eigene, europäische Musiktradition kannten, während heutige Komponisten ihre Anregungen einer ausnahmsweise einmal positiv zu wertenden Globalität entnehmen können. Schnyders Musik – und dafür kann jede der hier versammelten Kompositionen Zeugnis ablegen – ist kreativ, geistvoll und hochgradig virtuos!
Zentrales Werk dieser CD ist Schnyders Suite für Bassposaune und Orchester, in der der Komponist Lieblingsstücke des Solisten zusammengestellt und für die Posaune eingerichtet hat. Die Partitur ist mörderisch, aber Schulz bringt diesen Parforceritt, mit dem sich „Klassiker“ ebenso anfreunden können wie „Jazzer“, bravourös hinter sich.
Schnyder, Schulz und die Pianistin Tomoko Sawano bilden ein auch im Wortsinne eingespieltes Team, insofern sie mit dem vorliegenden Programm schon des längeren „around the world“ unterwegs sind. Die Begeisterung über diese CD dürfte nur noch durch das Ereignis getoppt werden, die Formation einmal live zu erleben!
Friedemann Kluge