Armida

Händel, Gluck, Jommelli und Haydn

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony BMG 88697100592
erschienen in: das Orchester 01/2008 , Seite 60

Um innerhalb eines hart umkämpften CD-Markts aufzufallen, muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. Der jungen sympathischen Sopranistin Annette Dasch gelingt das mit dem überzeugenden Versuch einer Selbstinszenierung: Sie präsentiert sich als verführerische Sarazenenprinzessin Armida, die sich in den christlichen Ritter Rinaldo verliebt, mit ihm auf ihre Zauberinsel aufbricht und – als dieser in den Krieg zurückkehrt – versucht, ihn und sich selbst zu töten.
Bei den jüngsten Salzburger Festspielen, zu deren Eröffnung diese CD pünktlich erschien, verkörperte Annette Dasch Haydns Armida auch auf der Bühne, auf der CD aber präsentiert sie einen weitaus größeren Querschnitt. Schließlich ließen sich mehr als 30 Komponisten von der betörend schönen Zauberin aus Torquato Tassos berühmtem Heldenepos Das befreite Jerusalem zu einer Oper oder Kantate inspirieren und schrieben ebenso virtuose wie affektgeladene Arien, die heute kaum noch zur Aufführung gelangen. Gluck, Händel, Jommelli und Haydn: Annette Dasch verfolgt mit ihrer Auslese den Wandel des Opernstils im 18. Jahrhundert, vom barocken Koloraturen-Feuerwerk („Odio, furor, dispetto“ des Neapolitaners Niccolò Jommelli, „Ah, crudel il pianto mio“ aus Händels Rinaldo) über die feinen musikalischen Schattierungen Glucks („Ah! Si la liberté me doit etre ravie“) bis hin zur dramatischen Wucht, mit der Joseph Haydn Armidas wilde Rachegefühle hervorbrechen lässt.
Der Streifzug gibt Annette Dasch Gelegenheit, ihre Vielseitigkeit im Wechsel der Affekte von Liebe, Hass und Verzweiflung unter Beweis zu stellen. Mit warmem Timbre, eleganter Verzierungskunst und erotischen Farben besitzt die Berlinerin zweifellos eine der schönsten Sopranstimmen ihrer Generation. Vor allem im Spitzenregister lässt sie aufhorchen, wenn sie wie bei Haydn („Se pietate avete, oh Numi“) Pianotöne mit natürlicher Kopfstimme ansetzt. Nur in der Mittellage klingen die Koloraturen bisweilen ein wenig dicklich, da fehlt noch der Mut zu leiseren Tönen und sparsamerem Vibrato. Starke Partner findet sie in der mit exquisiten Bläser- und Streichersolisten besetzten Bayerischen Kammerphilharmonie, die unter Leitung von David Syrus stilbewusst und transparent musiziert.
Die aufwändig gestalteten, ästhetisch ansprechenden Hochglanzfotos, die das Cover zieren und dem Booklet beigegeben sind, zeigen eine attraktive Frau. Bedauerlich nur, dass darauf verzichtet wurde, die weitgehend unbekannten Arientexte abzudrucken. So ahnt man nur, worum es eigentlich geht, zumal auch versäumt wurde, die Arienanfänge in der Programmabfolge ins Deutsche zu übersetzen.
Trotz solch editorischer Mängel ist dieses Album eine Bereicherung für die Opernwelt. Annette Dasch, die in Salzburg in Abwesenheit von Anna Netrebko schon zum neuen „Shooting Star“ ausgerufen wurde, muss nur aufpassen, dass sie weiterhin behutsam Rollen und Bühnen auswählt und sich nicht zu früh zu Aufgaben überreden lässt, die noch eine Nummer zu groß sind.
Kirsten Liese