Händel, Georg Friedrich

Arianna in Creta

Opera in tre atti HWV 32, hg. von Reinhold Kubik, Hallische Händel-Ausgabe, Kritische Gesamtausgabe, Serie II: Opern, Bd. 29, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2012
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 66

In zehn Jahren soll sie vollendet sein, die Hallische Händel-Ausgabe (HHA), die Gesamtausgabe der Werke Georg Friedrich Händels, die dann endgültig die zwar höchst verdienstvolle, aber in vielen Teilen problematische und in der Praxis kaum noch benutzte Chrysander-Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert ersetzt. Der seit den 1950er Jahren in des Meisters Geburtsstadt Halle unter Mitwirkung internationaler Händel-Forscher entstehenden Ausgabe wird es kaum anders gehen wie der vor wenigen Jahren vollendeten Neuen Bach-Ausgabe, die ja lange „zur Häfte“ und schließlich ganz wenige Kilometer entfernt in Leipzig entstand: Wenn sie fertig ist, sind einige Bände, vor allem die frühen, schon wieder überholt und erneuerungsbedürftig.
Die editorische Bedeutung und Ausstattung der Bände der HHA sind ohnehin sehr unterschiedlich und im Laufe der Zeit deutlich gewachsen. Das verdeutlicht nicht zuletzt der vorliegende neue Opernband zur Arianna in Creta. Der Wiener Musikwissenschaftler Reinhold Kubik, der mit einer 1982 erschienenen monografischen Arbeit zu Händels Oper Rinaldo promoviert hatte, auch in der Praxis viel zur historischen Aufführungsweise der barocken Oper geleistet hat und Editionsleiter der Gustav-Mahler- Gesamtausgabe ist, hat sie herausgegeben. Gemessen an der Gründlichkeit der Edition und der Fülle des zu bearbeitenden Materials verwundert die lange Entstehungszeit der Ausgabe nicht.
Händel komponierte Arianna in Creta nach dem vielfach vertonten mythologischen Stoff 1733 als erste Neuproduktion seines letzten Opernunternehmens. Am 21. Januar 1734 wurde das Werk im King’s Theatre am Londoner Haymarket uraufgeführt. Doch da hatte sich die Gestalt des Stücks schon gegenüber der Version des Autografs verändert, denn der erst nach Abschluss der Komposition in London erschienene Kastrat Carestini als „Star“ der Produktion wollte mehr Arien. Außerdem mussten, seiner veränderten Stimmlage wegen, seine Nummern tiefer gesetzt werden. Im November 1734 nahm Händel das Werk wieder auf, nun unter Mitwirkung der Balletttruppe von Marie Sallé und mit einigen Umbesetzungen. So wurde die Oper abermals umgearbeitet.
Reinhold Kubik gelingt es nun, in der neuen Ausgabe alle drei Fassungen zu veranschaulichen, in Konkordanzen leicht überschaubar ins Verhältnis zueinander zu setzen und mit einem Hauptteil, der die Uraufführungsversion bringt, sowie zwei umfangreichen Anhängen auch für praktische Verwendung in allen drei Fassungen leicht nutzbar zu machen. Der Herausgeber erkennt dabei im gedruckten Libretto, das im Faksimile ebenfalls abgedruckt ist, die beste Quelle für die tatsächliche Fassung, die zur Uraufführung erklang. Das ausführliche Vorwort, die anderen gut erklärten Faksimiles, die Übersetzungen der Texte sowie der umfangreiche und differenzierte Kritische Bericht sind vorbildlich und machen aus der Ausgabe gleichsam Notentext und Werkmonografie in einem.
Es ist zu wünschen, dass mit dieser prachtvollen Edition das Interesse an dieser eher selten gespielten Händel-Oper neu geweckt wird und sie von nun an häufiger in Konzertsälen und Opernhäusern zu erleben ist.

Karl Georg Berg