Bernet, Dietfried
Argumente für den Herrn im Frack
Essay
Dieses Buch hat einen Untertitel, der das Thema genau umreißt: Was Sie schon immer über den Dirigenten wissen wollten. Mit der Anrede Sie wendet sich der Autor, ein international erfolgreicher Dirigent, an musikinteressierte Laien, die endlich Einblick gewinnen möchten, wie es bei einer Konzertvorbereitung oder einer Operneinstudierung zugeht.
Der Inhalt ist sehr übersichtlich gegliedert. Zunächst wird das Arbeitsgerät vorgestellt: ein Plädoyer für den Frack gehalten und die Funktion des Taktstocks erklärt. Dann wird über das eigentliche Dirigieren geplaudert, über das Handwerkliche wie das Psychologische. Man hätte noch erwähnen können, dass der Dirigent in drei Zeitebenen denkt und handelt: Sein Schlag ist Gegenwart, aber seine Gedanken sind schon im Zukünftigen und in der Vergangenheit, z.B. bei Fehlern, die man nicht gleich korrigieren konnte. Die Anmerkung über die Zeitunterschiede zwischen räumlich von einander entfernten Tonquellen hätte noch ausführlicher sein können. Beim Orgelsolo in Tosca musste ich in Graz ein ganzes Viertel der Sextolen vorausspielen, weil das Orgelwerk am Schnürboden war. Die linke Hand wäre ein eigenes Kapitel wert gewesen, zwischen dem Rat von Richard Strauss, sie in der Westentasche einzuhängen, und den Möglichkeiten Ausdrucksbewegungen zu machen. Bei dem Exkurs über die Übersetzungen hätte man daran erinnern können, dass es bis zur Anwendung der Originalsprachen eine Übergangszeit gegeben hat mit Zwei-, ja Dreisprachigkeit, z.B. Margarethe in Wien auf deutsch/französisch/russisch!
Bei der Zusammensetzung des Orchesters wird auf Hierarchien und Sitzordnungen eingegangen. Die Mindestanzahl von 67 Musikern, die Bernet errechnet hat, ist allerdings viel zu hoch. In Luzern haben wir in den 1950er Jahren mit 27 Musikern “Othello” gespielt; Karajan hat in Ulm mit 28 Musikern den “Rosenkavalier” aufgeführt und Klagenfurt hat mit 35 Spielern den gesamten “Ring” herausgebracht (bei diesen Zahlenangaben wären jeweils drei bis vier Aushilfen hinzuzuzählen). Bernet geht zu sehr von Aufführungen auf höchstem Niveau aus. Auch seine Angabe einer halbjährigen musikalischen Vorbereitung ist für die meisten Theater undurchführbar. Wie hätten sonst kleine Bühnen alle drei Wochen eine neue Oper oder Operette herausbringen können?
Dem Persönlichen, Anekdotischen und Witzigen hätte mehr Raum gegeben werden können: Was erlebt man nicht alles in einem Dirigentenleben an Ungewöhnlichem und Unvergesslichem!
Günther von Noé