Werke von Jacob Shea, Frode Fjellheim, Arrangements von Ben Palmer
Arctic
Eldbjørg Hemsing (Violine), Arctic Philharmonic, Ltg. Christian Kluxen
Aus dem Sinfonieorchester der nördlichsten Stadt Norwegens, Tromsø, ging in Verbindung mit der Institution der Nachbarstadt Bodø Arktisk Filharmoni hervor. Das bedeutendste Orchester Nordnorwegens steht neben vielem anderen für stilistisches Crossover. Dabei sind nicht die vielen Projekte zu übersehen, die Chefdirigent Christian Kluxen in den vergangenen fünf Jahren umgesetzt hat. So fand im März die Uraufführung einer Rockoper zusammen mit dem dänischen Ensemble Scene Nord statt, die Zeichen setzen will für eine Besinnung auf die als problematisch betrachtete dänisch-norwegische Kolonisierung Grönlands. Ebenso engagiert tritt das Orchester für die Bewahrung der samischen Kultur ein, die durch staatliche Projekte weiter an den Rand ihrer Existenz gedrängt zu werden droht. Die neueste Aufnahme dieses Jahres ging aus der Zusammenarbeit mit der amerikanischen Komponistin Missy Mazzoli hervor. Aktuelles Originalrepertoire wie dieses wird ergänzt durch die Aufführung der Werke von Schumann, Mahler und Schubert sowie der Postmoderne.
Ganz anders verhält es sich beim Stilmischungsexperiment Arctic, mit dem in romantisierender Weise die karge, aber anziehende Region um den Polarkreis thematisiert, die Kultur der Samen einbezogen und eine weltmusikartige Atmosphäre geschaffen wird: Bei nahezu der Hälfte der relativ knappen und ähnlich wie Pop-Tracks eher erratisch aneinandergereihten Stücke handelt es sich um Arrangements von Ben Palmer, einem Experten für Live-Film-Dirigate; seine Bearbeitungen originaler Werke wie Ole Bulls Mélancholie auf der CD verdankt sich der engen Zusammenarbeit mit Sony Classical. Bei manchen Arrangements ist eine eigenwilligere Handschrift zu spüren, viele sind eher behutsam bearbeitet und teils um eine improvisatorisch klingende Klavierbegleitung aufgestockt.
Die über Norwegen hinaus bekannte Violinistin Eldbjørg Hemsing steht im Vordergrund der Aufnahme und überzeugt mit dem ebenso dunkelsamtenen, warmen wie vibratoreichen Ton ihrer Guadagnini-Geige von 1754 am meisten, wiewohl sie auch mit der Hardanger-Fiedel auftritt. Man könnte sagen: Sie hätte ebenso ohne jegliche Arrangements überzeugt, die zwar mehr Publikum anziehen mögen, aber an Wirksamkeit das Original denn eben doch nicht einholen. Deshalb erscheint zum Ende als i-Tüpfelchen Der letzte Frühling von Edvard Grieg ungeschliffen als runder Abschluss.
Von besonderem Interesse ist die Ersteinspielung der sechsteiligen beeindruckenden Arctic Suite von Jacob Shea, einem auf Computerspiele und Filmmusik spezialisierten kalifornischen Komponisten, der Hemsing selbst die gelungene melodische Darstellung der Polarnacht, des Sonnenaufgangs und der polarkreistypischen Phänomene Wind und Eis zuschreibt. Nicht zuletzt ist es ihr ausdrückliches Anliegen, auf das Problem der Erderwärmung in dieser Weltregion hinzuweisen.
Hanns-Peter Mederer