Wegmann, Theo (Hg.)

Appenzeller Tänze

für Streichorchester, Partitur / Stimmenset

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Special Music Edition, Maur 2016
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 63

Die Appenzeller Volksmusik um 1900 steht seit einigen Jahren im Fokus der Forschung, ausgehend von der Sammlung Carl Emil Fürstenauers (1891-1975), der Kompositionen von Anton Moser (1853-1921) transkribieren ließ. Moser und sein Quintett bildeten damals das Zentrum der „ersten Blütezeit der Appenzellermusik“. Verschiedene Komponisten traten schöpferisch hervor, unter denen Josef Peterer senior (1872-1945) der wohl bekannteste ist. Das Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik „Roothuus Gonten“ in Gonten widmet sich in seinem Klangarchiv und in Ausstellungen dem Stolz der Region und postuliert eine aktuelle Blütezeit, die sich aber weniger auf die Komposition, sondern auf die Wiedergabe der historischen Vorlagen der Musik konzentriert.
Diese Informationen sind wichtig, denn sie bilden den Hintergrund für die vorliegende Ausgabe, aus der man weiter nichts erfährt, als dass es bereits 2002 „eine erfolgreiche Publikation“ mit Appenzeller Tänzen gab, aus der einige, 17 Tänze, hier versammelt und für Streichorchester statt für Klavier und Orgel bearbeitet sind.
Allerdings erfährt man viel über den Herausgeber und Arrangeur, der quasi im Selbstverlag die Melodien arrangiert hat. Erstaunlich ist dabei, dass die Titel der Kompositionen nicht sehr regional anmuten. Zahlreiche Mazurken und Polkas sind neben Schottisch und Walzer die hier vertretenen Tanzweisen. Als Komponisten zeichnen – neben den zahlreichen als „Traditionell“ ausgewiesenen Stücken – u.a. der durchaus für die Appenzeller Blütezeit repräsentative Josef Peterer sen. sowie Anton Knill (1821-1892) und Ignaz Dörig (1832-1898).
Die Bearbeitung Wegmanns ist lediglich eine „Transkription“ der überlieferten Noten, die in einem gediegenen Stimmensatz einer traditionell streng kadenzierenden Harmonik gehalten sind. Spielanweisungen wurden nicht überliefert, daher sind sie in der Ausgabe auch nur rar hinzugefügt. Die Freiheiten sollen sich bei der Aufführung ereignen, so der Herausgeber, und er empfiehlt ein „nuancenreiches Spiel“ sowie Spieltechniken wie pizzicato und col legno.
Das Material ist nicht nur interessant für eine konzertante Aufführung, zu der der Herausgeber rät und dabei eine suitenartige Anordnung empfiehlt; es spiegelt auch die Situation der Volksmusik um 1900 und die Frage nach dem echten Volkslied. Während die Appenzeller Tänze das Eindringen der Hochkultur in die regionale Kunst spiegeln, waren Musikethnologen damals bestrebt, das „Echte“ zu finden und den verschütteten Ursprung aufzudecken.
Von solch hochfliegenden Utopien gibt es hier keine Spur, weder in der Musik noch in der Edition. Der umtriebige Herausgeber Theo Wegmann, als Organist in Zürich tätig und gebürtiger Appenzeller, spiegelt einzig seine musikalische Herkunft, wie sie historisch überliefert ist, und versieht sie in Hochglanzpapier mit konzertanten Streichern, umrankt mit Bildern der wunderschönen Appenzeller Landschaft. Auf der Rückseite mit Kuh.
Steffen A. Schmidt