Felix Diergarten
Anton Bruckner
Ein Leben mit Musik
Endlich liegt hier ein Buch vor, das auf weithin verständliche Weise mit jenen Legenden aufräumt, die bereits zu Lebzeiten über den vor 200 Jahren geborenen Anton Bruckner als Mensch und Musiker aufkamen. Schon die ersten Nachrufe mahnten zur Ehrlichkeit und die Musikwissenschaft kehrte in den 1970er Jahren auch bei Bruckner zurück zu den Quellen, doch sieht der Autor Felix Diergarten klischeehafte und verfälschende Bruckner-Bilder „bis heute weiter in Programmhefttexten und Einführungsliteratur, in Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, in Biografien, in zahllosen Pausengesprächen“. Zum Beispiel sei Bruckner eigentlich kein „unbeholfener Kauz“ gewesen, habe sich aber bewusst in der Rolle des Sonderlings eingerichtet, denn „in gewissen noblen Kreisen fanden Künstler mit schrulligen Marotten mehr Anklang als mit weltmännischem Auftreten“. Auch sei Bruckner kein im engeren Sinne „religiöser“ Komponist: „Widmungsträger seiner Sinfonien waren Bürgerliche und Adlige, die Fünfte Sinfonie widmete Bruckner sogar dem liberalen Unterrichtsminister, der für die Trennung von Kirche und Staat eintrat.“
Diergarten will Leben und Werk dieses Komponisten weder rein biografisch noch rein analytisch erschließen, sondern vielmehr aus jenen damaligen „Lebenswelten“ heraus, die Bruckner durchschritt, „vom oberösterreichischen Dorf über die wachsende Landeshauptstadt Linz in die Metropolen Europas; vom Dorfschulhaus über die Lehrerbildungsanstalt an das Konservatorium und die Universität; von der Dorfkirche über die Stiftsbasilika an den neogotischen Dom; vom kämpferischen Katholizismus eines Bischofs Rudigier zum Liberalismus des Unterrichtsministers Stremayr; von den fiedelnden Dorfmusikanten zu den Wiener Philharmonikern; von der Landmesse zur monumentalen Sinfonie. Jedes Kapitel beleuchtet eine Lebensphase, eine Begebenheit, einen Ort oder ein besonderes Thema der Biografie Anton Bruckners.“ Dieser Ansatz führt zu vielen neuen, spannenden und erhellenden Erkenntnissen auch über die Kompositionen selbst. Beispielsweise fließt hier mehr Licht in das unübersichtliche Thema der vielen verschiedenen Fassungen von Bruckners Sinfonien, kulminierend bei der Achten: „Die einzige Fassung, die keinerlei Authentizitätsfragen aufwirft (1887), wird heute kaum gespielt, weil einige Eigenschaften der Publikumsgunst entgegenstehen, insbesondere das verfrühte triumphale Ende des Kopfsatzes; die einzige Fassung, die Bruckner selbst hörte (1892), wird heute nicht mehr gespielt, weil ihre Authentizität in Frage steht; die heute meistgespielte Fassung dagegen hat Bruckner nie gehört (1890); und die Fassung, die viele Musiker als die schönste empfinden, hat Bruckner weder gehört, noch gesehen, noch geschrieben.“
Ingo Hoddick