Döhl, Frédéric

André Previn

Musikalische Vielseitigkeit und ästhetische Erfahrung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Franz Steiner, Stuttgart 2012
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 62

Diese Studie hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck und fordert gleichermaßen Anerkennung und Kritik heraus. Anerkennung verdient der enorme Fleiß, Quellen, Literatur, Aufnahmen, Filme, Berichte und Äußerungen über den 92-jährigen Dirigenten, Pianisten, Komponisten, Jazzmusiker, Improvisator und Arrangeur André Previn zu sammeln, zu ordnen und auszuwerten. Anerkennung verdienen die übersichtliche Anlage des Buchs, die Fülle von Zitaten und Anmerkungen, der ausführliche Anhang (Werkverzeichnis, Diskografie, zitierte Literatur und Medien) und der Versuch, das Ganze unter konzeptionelle, musikwissenschaftliche und rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen zu subsumieren.
Dieser Versuch ist aber nicht recht gelungen, weil er die Präsentation einer Künstlerpersönlichkeit mit begrifflichen Ansätzen verknüpft, die zu hoch greifen und daher etwas gewollt wirken. Entwickelt werden sie in einer 40 Seiten langen historisch, ästhetisch und schaffenspsychologisch orientierten Einleitung, auf die am Schluss kurz zurückgegriffen wird. Dann wechselt die Darstellungsebene und es folgt ein ausgedehnter Hauptteil im üblichen Stil einer Musikerbiografie. Er ist chronologisch in sieben (Lebens-)Abschnitte unterteilt und verbindet sie, soweit vorhanden, mit Bemerkungen zum jeweiligen Schaffen. Innerhalb dieser erzählenden und aufzählenden Passagen gibt es zwar Hinweise auf die Begrifflichkeit der Einleitung. Sie können aber die stilistische und methodische Kluft zwischen beiden Arbeitsstrukturen kaum überbrücken.
Wer sich als Musikfreund für Previn, seine Zeit und sein Umfeld interessiert, muss sich also entweder durch den sprachlich und gedanklich schwierigen Anfang hindurcharbeiten oder ihn einfach überschlagen. Es dürfte aber nicht im Sinn des Autors sein, den Blick auf den Mittelteil zu beschränken, der Daten, Fakten, Namen und Lebens- bzw. Schaffensstationen dieses vielseitigen Musikers im Wesentlichen aneinanderreiht. Zudem bilden die knappen Angaben zu Werken und Aufnahmen ein gewisses Problem, da sie zum vollen Verständnis ein riesiges Arsenal von Tonträgern und Filmen voraussetzen. Und noch problematischer wird mancher Leser die Häufung von längeren unübersetzten englischen Zitaten empfinden, die nur demjenigen das Bild farbiger machen, der sie versteht.
Offenbar hat der Autor eher an akademisch geschulte Leser gedacht, denen fremdsprachige Zitate vertraut sind. Dann allerdings ist zu fragen, ob der Hauptteil des Buchs das wissenschaftliche Interesse verdient, das die anfänglichen terminologischen Erörterungen vor allem der „Entgrenzung“ wachrufen möchten. Denn die biografischen Fakten, die Hinweise auf Musiker aller Sparten, auf Freunde, Förderer und Kritiker sowie die mündlichen und schriftlichen Äußerungen jeglicher Couleur können zwar ein facettenreiches Tableau vermitteln, nicht aber eine begriffliche Struktur im Sinn der Einleitung. Der Bruch bleibt spürbar und unterstreicht die Mischung aus Anerkennung und Kritik, die das Buch insgesamt hervorruft.
Peter Schnaus