Amor Oriental

Händel alla turca

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Harmonia Mundi 88697857492
erschienen in: das Orchester 11/2011 , Seite 78

Musikalische Begegnungen zwischen Orient und Okzident haben eine lange Tradition. Und sie sind im Zeichen eines gegenseitigen Verständnisses und Dialogs der Kulturen aktueller denn je. Entsprechend groß ist gegenwärtig die Zahl von Projekten, die zwischen der Musik Mitteleuro­pas und der des Morgenlandes vermitteln – in allen erdenklichen Genres und Stilrichtungen. Die vorliegende Einspielung dokumentiert eine Verknüpfung von Opernmusik Georg Friedrich Händels mit osmanisch-türkischer Musik vom Barock bis zur Gegenwart. Im Mittelpunkt des europäischen Parts stehen hier Stücke aus Händels erster Londoner Oper Rinaldo von 1711, in der sich ja nach der Vorlage aus Tassos Befreitem Jerusalem abendländische christliche und östliche Kultur unmittelbar gegenüber stehen. Leider nicht gerade in friedlich-versöhnlicher, sondern in wüster kriegerischer Absicht.
In „Amor Oriental“, so der Titel dieses multikulturellen Pasticcios aus Musik von Händel und solcher osmanisch-türkischer Tradition, steht dagegen die – wie es im Booklet heißt – „Hochzeit von Orient und Okzident“ im Geist von Lessings Nathan dem Weisen im Mittelpunkt. Sie vollzieht sich in Abänderung der Opernhandlung in einer von einem Derwisch angeleiteten Verbindung des christlichen Kreuzritters Rinaldo mit der heidnischen Zauberin Armida. Das Ensemble Pera unter Leitung von Mehmet C. Yes¸eilçay und das Ensemble l’arte del mondo unter Werner Ehrhardt, deren gemeinsames Musizieren schon Tradition hat, tragen diese Vereinigung.
In dem von Yes¸eilçay und Ehrhardt konzipierten Pasticcio werden nicht einfach nur europäisch-barocke und osmanisch-türkische Musik im Wechsel aufgeführt, sie werden miteinander verschränkt. Das heißt, dass aus dem Vortrag eines Händel’schen Stücks aus Rinaldo, Alcina, Serse oder Agrippina rasch eine Improvisation im türkischen Stil hervorgehen kann. Oder türkische Klänge und Instrumente können ein Tanzstück Händels begleiten. Da das Spielerische und Improvisatorische ja genuin zur Musik des Barock gehört, wird Händel hier gewiss keine Gewalt angetan. Im Gegenteil, es überraschen immer wieder aufs Neue die stimmigen Übergänge.
Das am 13. Oktober 2010 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie aufgenommene Konzert mit „Amor Oriental“ steht vielmehr für eine spannende und allemal anregende Verbindung unterschiedlicher musikalischer Welten. Es vermittelt ungewohnte, jedoch reizvolle Eindrücke, die Sinne und Geist gleichermaßen zu beleben vermögen.
Im Fall der Ausführung der Musik Händels überzeugt Werner Ehrhardt mit seinem Ensemble l’arte del mondo durch impulsives und brillantes Musizieren. Der Countertenor Florin Cezar Ouatu singt die Arien des Rinaldo mit höchst beweglicher und virtuos geführter Stimme. Expressiv agiert Juanita Lascarro als Arminda. Ahmet Özhan steuert als Derwisch traditionell türkischen Gesang bei.
Karl Georg Berg