Sánchez-Verdú, José María
Alqibla/La rosa y el ruiseñor/Elogio del horizonte/Ahmar-aswad/Paisajes del placer y de la culpa
Hier ist ein Meister am Werk! Kaum eine CD mit zeitgenössischer Orchestermusik vermag einen so in Bann zu ziehen wie diese Aufnahmen von Werken des andalusischen Komponisten José Maria Sánchez-Verdú. Mit Hilfe modernster Spielweisen entlockt er dem Orchester Töne und Klänge, die die Vorstellungskraft der Zuhörer beflügeln. Bereits der Beginn von La rosa y el ruiseñor (Die Rose und die Nachtigall) lässt einen das Hier und Jetzt vergessen: Tiefe Trommeln und liegende Bässe evozieren eine schattenhafte, unheimliche Umgebung, in die hinein verstreut einzelne helle Bläser oder auch Violinen rufen, als wollten sie tastend erfragen, ob ihnen Unheil drohe. Man möchte diesen geheimnisvollen Klängen immer weiter lauschen und die Neugier wird belohnt. Zwei Sänger, ein Mann und eine Frau, sind zu vernehmen, undeutlich noch, wie aus weiter Ferne, sowie
einige Klänge, die ebenfalls einen langen Weg zurücklegen mussten, um an unser Ohr zu gelangen. Erst allmählich lassen sie sich als Töne von drei Viole da gamba ausmachen. Musik aus dem Barock weht hinein in eine Szenerie subtilster Gegenwart, doch sind es nicht etwa Zitate alter Musik, nein, es genügt allein der Klang dieser Instrumente, um diese Assoziationen heraufzubeschwören.
Sánchez-Verdú erweist sich als wahrhafter Klangschöpfer. Jedes Stück auf dieser CD erzählt eine andere, faszinierende Geschichte, die unmittelbar berührt und daher auch intuitiv verstanden werden kann. Dazu trägt die ungemein facettenreiche Instrumentierung bei, die mit Obertönen spielt, Blas- und Kratzgeräusche einfordert, kurz: das gesamte Repertoire, das sich die neue Musik in den vergangenen fünfzig Jahren mühsam und in oft wenig überzeugenden Kompositionen erarbeitet hat. Die Anstrengungen haben sich gelohnt, denn anhand der Leichtigkeit, mit der Sánchez-Verdú diesen Kanon an Ausdruckmitteln einsetzt, wird klar, dass man sie mittlerweile als ganz normale Komponenten verwenden kann neben vielen anderen mehr. Eine der wichtigsten Entscheidungen für einen Musikerfinder ist die Frage, wie viel Zeit ein Klang oder ein Zustand innerhalb einer Komposition benötigt oder anders gedacht: wie viel Zeit ihm zusteht. Dieser Komponist hat ein untrügliches Gespür für den Energiegehalt seiner Musik. Daher folgt man manchmal mit angehaltenem Atem seinen Klängen, man fragt sich, wie lange er es noch aushalten kann hinterher muss man beeindruckt lächeln und zugeben: sehr lange!
Stimmig auch die Auswahl der Stücke für diese CD: unterschiedlich besetzte Orchesterwerke, ein wunderbares Klarinettenkonzert (das unbedingt in das Repertoire aller großen Orchester und Solisten aufgenommen gehört) sowie jenes eingangs erwähnte für Sopran, Bariton, drei Viole da gamba und Orchester. Die Booklet-Porträts von Rainer Pöllmann und Thorsten Palzhoff bringen uns den Komponisten und seine Musik nahe.
Die Interpreten der Stücke sind: Junge Deutsche Philharmonie, Ltg. Lothar Zagrosek; Claudia Barainsky (Sopran), Gabriel Suovanen (Bariton); Banchetto musicale; Joan-Enric Lluna (Klarinette), Orchestre de la Suisse Romande, Ltg. Marek Janowski; Orquesta Nacional de España, Ltg. Miguel Harth-Bedoya; hr-Sinfonieorchester, Ltg. Pascal Rophé/Peter Rundel.
Sibylle Kayser