Alone

Werke von Zoltán Kodály, Rodion Shchedrin, Giovanni Sollima, Alfred Schnittke und Pablo Casals

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Encora 006
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 87

Vor annähernd hundert Jahren entstand Zoltán Kodálys Sonate op. 8 für Cello solo, ein Werk, das in zweierlei Hinsicht als musikhistorischer Markstein anzusehen ist: Von marginalen Ausnahmen abgesehen finden sich im gesamten Zeitraum der Klassik und Romantik keine Kompositionen für unbegleitetes Cello, erst Kodály knüpft mit seinem 1915 komponierten Op. 8 an die barocke Tradition solistischer Cellomusik an. Zugleich handelt es sich um ein Werk, dessen technische und musikalische Anforderungen über das cellistische Level seiner Entstehungszeit weit hinauswiesen. Nicht unähnlich der epochalen Solosonate von Bernd Alois Zimmermann aus dem Jahr 1960 stellt Kodálys Sonate für ihre Zeit einen Maßstab dar, an dem sich Cellokompositionen der Folgezeit orientierten. Allein der geforderte Tonraum der Kodály-Sonate ist bemerkenswert: Er umfasst exakt fünf Oktaven, vom Kontra-H (der skordierten C-Saite) bis zum dreigestrichenen h.
Dem in jeder Hinsicht gewaltigen Ambitus des Werks wird der Cellist Boris Andrianov in jeder Hinsicht gerecht. Unterstützt von exzellenter Aufnahmetechnik, die eine leicht hallige Kirchenakustik perfekt einfängt, entfaltet sich eine Klangwelt, die pure Celloherrlichkeit verbreitet. Der 1976 geborene Andrianov – er studierte bei Natalia Schachovskaya in Moskau und David Geringas in Berlin und errang Preise beim Moskauer Tschaikowsky- sowie beim Antonio Janigro-Wettbewerb – legt hier eine Visitenkarte erster Güte vor.
Dass Andrianov grandios Cello spielt, ist natürlich allen auf dieser CD eingespielten Werken zu entnehmen, doch verrät die Auswahl einiger Werke eine gewisse Vorliebe für Objekte primär cellistischer Begier, über deren kompositorischen Rang man trefflich streiten mag. Ich bin so frei, Rodion Shchedrins Russian Fragments ebenso wie die elektronische Hall- und Verzerrungseffekte einbeziehenden Kompositionen des Italieners Giovanni Sollima als gehobenen Trash zu bezeichnen, wobei Sollimas Lame (in bester Apocalyptica-, d.h. Heavy-Metal-Manier) und Alone (über fortwährendem Bordun-D mittelalterlich-mystisch tönend) durchaus größeres Hörvergnügen verbreiten als Shchedrins fade Balalaika-Anmutungen. Aus anderem Holz geschnitzt freilich ist Alfred Schnittkes Improvisation aus dem Jahr 1993, ein expressiver Monolog, in dem traditionelle Dreiklänge und Vierteltöne in polystilistischer Selbstverständlichkeit nebeneinander stehen. Mit einer anrührenden Reverenz an den großen Pablo Casals endet das Recital: Dessen Gesang der Vögel, eine Bearbeitung des katalanischen Volksliedes El cant dels ocells, symbolisiert Casals’ Streben nach Freiheit und Völkerverständigung. Eine romantische Petitesse, doch mag man sich ihrer schwermütigen Schönheit nicht entziehen, wenn Andrianov sie mit Wärme und Innigkeit vorträgt.
Gerhard Anders