Tenner, Haide (Hg.)

Alma Mahler – Arnold Schönberg

"Ich möchte so lange leben, als ich Ihnen dankbar sein kann". Der Briefwechsel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Residenz, St. Pölten 2012
erschienen in: das Orchester 10/2013 , Seite 64

Haide Tenner hat den Titel des Buchs einem Schreiben Schönbergs vom Juni 1913 entnommen, in dem dieser sich bei Alma Mahler überschwänglich für finanzielle Unterstützung bedankt. Seine pekuniären Probleme nehmen im Briefwechsel einen wichtigen Platz ein. Alma Mahler half ihm über Jahrzehnte immer wieder, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie vermittelte ihm Kontakte zu wohlbetuchten Mäzenen der Wiener Gesellschaft, umsorgte ihn mit Geldern aus der Mahler-Stiftung und stellte ihm zeitweilig ein ihr gehörendes Haus zur Verfügung. Alma Schindler lernte Schönberg 1900 beim gemeinsamen Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky kennen, dessen Schwester Mathilde 1901 Schönbergs Ehefrau wurde. In ebendiesem Jahr begegneten sich Alma und Gustav Mahler und schlossen 1902 den Bund fürs Leben. Alma Mahler hatte offensichtlich Schönbergs Begabung und sein kompositorisches Potenzial sogleich erkannt. Nach Gustav Mahlers Tod 1911 hielt sie dessen Fürsorge für den 14 Jahre jüngeren Kollegen aufrecht und unterstützte Schönberg weiterhin. In einem Briefwechsel voller Intensität, Emotionalität und nicht ohne Missverständnisse und Krisen wird ihr Interesse an Schönbergs Schaffen deutlich, zugleich der allmähliche Beginn einer Freundschaft, ohne dass ein erotischer Unterton aufkommt. Die eigentliche Korrespondenz datiert von 1910 bis zu Schönbergs Tod 1951. Das Buch enthält 139 Schreiben von Schönberg sowie 132 von Mahler. Die Einordnung der undatierten Mitteilungen von Alma Mahler war für die Herausgeberin ein echtes Problem, ebenso die Entzifferung der Handschrift. Manchmal offenbaren sich Lücken im Schriftwechsel. Haide Tenner kommentiert etliche Texte und legt Hintergründe dar, so z. B. zu einer Pause im Briefverkehr von 1915: „In jedem Fall ist die Stimmung zwischen den beiden mehr als angespannt, weil Schönberg nicht mehr Stipendiat der Mahler-Stiftung ist.“ Die Editorin hat Tagebuchaufzeichnungen von Alma Mahler zur Ergänzung herangezogen und schreibt dazu: „Vielfach hat Alma Mahler ihre Tagebücher selbst überarbeitet, zensiert, allzu Persönliches, Drastisches und persönlich Beleidigendes weggestrichen. Wahrheit und Erfindung liegen eng zusammen, vieles hat sie sicher verdrängt, sich falsch erinnert oder nicht wahrhaben wollen.“
Tenner hat ein interessantes Zeitdokument für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erstellt. Mit Arnold Schönberg steht einer der wichtigsten Komponisten dieser Epoche im Zentrum der lesenswerten Veröffentlichung. In seinem Schicksal spiegelt sich die Katastrophe wider, die zahlreiche große Künstler und Wissenschaftler aus Europa in die Neue Welt flüchten ließ. Arnold Schönberg und Alma Mahler treffen sich – wie Thomas Mann und viele andere bedeutende Persönlichkeiten – als Emigranten in Kalifornien wieder.
Peter Roggenkamp