Saint-Saëns, Camille

Allegro appassionato op. 43

pour violoncelle avec accompagnement de piano

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2010
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 69

Dass Camille Saint-Saëns dem Cello zugetan war, lässt sich seinem Werkkatalog unschwer entnehmen: drei Solowerke mit Orchesterbegleitung, sieben mit Klavierbegleitung, dazu zwei Werke, die sowohl in Fassungen mit Klavier als auch mit Orchester existieren. Schließlich der berühmte Schwan, jener Inbegriff cellistischer Kantabilität, dessen Veröffentlichung – trotz Geheimhaltungsklausel des Karneval der Tiere – der Komponist gestattete und somit dem Cello ein weiteres Highlight darbot. Was Wunder, dass dieser Komponist (und glänzende Pianist) mit vielen Pariser Cellisten seiner Zeit befreundet war, ihnen Werke dedizierte und gemeinsam mit ihnen musizierte. Neben Auguste Franchomme, Auguste Tolbecque, dem Widmungsträger des 1. Cellokonzerts, und Charles-Joseph Lebouc, dem gleichsam der Schwan auf den Leib geschneidert wurde, zählte auch Jules Lasserre zu dieser Gruppe berühmter Kniegeiger. Möglicherweise verfügte Lasserre nicht über die technische Virtuosität eines Tolbecque, in jedem Fall aber ging ihm der Ruf eines exzellenten Kammermusikers voraus. Saint-Saëns widmete Lasserre neben seiner 1. Cellosonate jenes Allegro appassionato op. 43, das 1873 in der Fassung für Violoncello und Klavier uraufgeführt wurde. Drei Jahre später fertigte Saint-Saëns eine Orchesterversion an.
Die vorliegende Ausgabe macht die Cellostimmen beider Fassungen sichtbar: Über dem Text der Solostimme aus der Cello-/Klavier-Version sind alle Abweichungen, die die Solostimme der Orchesterfassung enthält, verzeichnet. Sie betreffen ausschließlich die Bereiche Dynamik und Artikulation und dienen dem Bemühen, das Cello – das fast durchweg in Tenor- und Baritonlage geführt ist – nicht im Orchesterklang untergehen zu lassen: Auf zahlreiche Fortepiano-Effekte, Diminuendi und Vorschriften wie dolce wird hier verzichtet, der solistische Gestus tritt in den Vordergrund.
Herausgeberin Christine Baur widmet dem Titel des Werks und der ihm innewohnenden „Gefahr“ eines zu leidenschaftlichen Vortrags einige Anmerkungen: Vermutlich dürfte Saint-Saëns’ Klavierspiel – bereits von Zeitgenossen als kalt charakterisiert – auf uns sehr distanziert gewirkt haben. Historische Aufnahmen vermitteln andererseits Eindrücke von Farbigkeit und Nuancenreichtum. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner Anmerkungen zum Vibrato der Streicher – „Diese Mode, die aus dem Wunsch geboren wurde, um jeden Preis Eindruck zu machen, ist dem dekadenten Publikumsgeschmack zuzuschreiben. […] Das war nicht Franchommes Art zu spielen“ – lässt sich festhalten: Saint-Saëns war ein wahrer Klassizist.
Nicht eben klassizistisch, sondern unangenehm romantisierend mutet Margaret Edmondsons Fingersatz- und Stricheinrichtung an: Teilungen der Original-Bögen, unnötige Lagenwechsel in Zweier-Ligaturen und dergleichen mehr huldigen eher dem von Saint-Saëns gegeißelten „dekadenten Publikumsgeschmack“. Warum, mit Verlaub, greifen Musikverlage für diese wichtige Arbeit zu selten auf kompetentes Personal zurück?
Gerhard Anders