Say, Fazil

Alla Turca

A film by Gösta Courkamp. Bonus: "Concerto Silk Road" – Impressions and Interview & "Paganini Variations"

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Arthaus Musik 101 443
erschienen in: das Orchester 11/2008 , Seite 67

Aus der Ferne locken der Ruf des Muezzins und das pulsierende Leben der Metropole Istanbul, doch Fazil Say lockt uns zu Klängen einer Bach-Fuge über die Brücke des Bosporus in die beeindruckende Kulisse des Esma Sultan Palastes. Dort „erzählt“ er anknüpfend Busonis Bearbeitung der Bach’schen Chaconne in d-Moll, über deren strukturelle Parallelen mit Hesses Siddharta er zuvor philosophiert hat.
Bei ihm zu Hause wird er privat, spricht über seinen Werdegang und improvisiert mit der türkischen Pop-Ikone Sertab Erener eine ganz eigene Version von Mozarts Rondo alla turca. Den ersten acht Originaltakten fügt Say der stets wahrnehmbar klassischen Form Jazzelemente wie synkopisierte Spitzentöne und chromatische Blue-Notes hinzu, gebettet in teils rasende Sechzehntelketten. Ereners Vokalisen verzieren mit stimmlicher Klangfarbe und Figurierungen.
Bald darauf gibt Say ein Konzert unter freiem Himmel – Beethovens Appassionata fungiert als musikalisches Medium und wird belebt durch Bilder türkischen Stadtlebens. Sein Spiel packt durch eine Mischung aus erstaunlicher Kraft, dynamischer Bandbreite und technischer Präzision, verbunden mit der Synthese aus unnachgiebiger musikalischer Linie und brodelnder Emotionalität.
Der filmische Weg führt uns weiter aus der Stadt in die Landschaften Anatoliens – mit Says Komposition Black Earth. Motive aus türkischer Folklore, Jazzrhythmen und Neoromantik bilden eine kommunikative Brücke zwischen Orient und Okzident, die auch für die Persönlichkeit und das Schaffen des Menschen Say steht. Vor allem die zu Grunde liegende Drei-Ton-Motivik und der den Klang der Saz imitierende Dämpfungseffekt bestechen durch ihre Unmittelbarkeit. In den Mittelteilen verdichten sich Folklore, romantischer Klaviersatz und Jazz zu großer Emphase, die sich entsprechend in den Natur-Aufnahmen widerspiegelt.
Das Amphitheater in Aspendos bildet schließlich die Bühne für eine Aufführung von Fazil Says Oratorium Nazim, das er dem türkischen Lyriker Nazim Hikmet gewidmet hat. Die imposante Szenerie dient der im Tonfall teils salbungsvollen und schlichten Musik auf ihre Weise.
Als Bonusmaterial ist Says Klavierkonzert Silk Road beigefügt, in dem Atonalität mit abstrakt formulierten Rhythmen und volkstümlichen Elementen asiatischer Länder verknüpft ist. Anschauliche Erläuterungen gehen hier einher mit Landschaftsaufnahmen und experimentellen Überblendungen. In der Jazz-Improvisation über Paganinis a-Moll-Caprice blitzt noch einmal Says Ideengeist, unaufdringliche Virtuosität und sein mitreißendes Temperament auf.
Gösta Courkamp lässt in seinem Film Musik, Stadt- und Landschaftsaufnahmen ruhig ineinanderfließen, verstärkt musikalische Stimmungen und Gesten durch sorgsam ausgewählte Bilder. Auch Kamera- und Motivführung erfüllen mit Zurückhaltung ihre „hintergründig“ begleitende Funktion. Alla Turca – ein stimmiges Porträt eines sympathischen „Charakterkopfes“ und seiner kompromisslosen und überbrückenden Liebe zur Musik und zu seiner Heimat.
Christoph Guddorf