Flotow, Friedrich von

Alessandro Stradella

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 60117
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 88

Die wahre Lebensgeschichte Alessandro Stradellas fand ein weitaus weniger harmonisches Ende, als es Friedrich von Flotows trauliches Opernfinale suggeriert: Sein Bühnenheld Stradella personifiziert die Macht der Musik. Als tugendhafter, edler Sänger vermag er das Herz von Banditen und Mördern, ja sogar rachsüchtigen Schwiegervätern zu rühren. Die Liebenden, Stradella und Leonore, sind am Ende vereint, und die Menge erfleht aus der Kehle des Wundersängers „Segen vom erhabnen Himmelsthron“. Der historische Stradella, ein bedeutender Komponist des 17. Jahrhunderts, entsprach eher der macchiavellistischen Idee eines selbstbewussten und selbstgerechten Renaissancemenschen. Finanziell unabhängig – vermutlich von noblem Geblüt –, stand er nie in Kirchen-, Fürsten- oder Theaterdiensten. Er konnte es sich leisten, frei seiner Kunst zu leben, mit den Vornehmen seiner Zeit Umgang zu pflegen und – was ihm schließlich zum Verhängnis wurde – dem weiblichen Geschlecht in wahrer Don Giovanni-Attitüde gegenüberzutreten. 1677 hetzte ein venezianischer Nobile, mit dessen Tochter Stradella durchgebrannt war, ein ganzes Rächer-Kommando auf den großen Komponisten und Womanizer. Er entkam, doch nach weiteren amourösen Abenteuern brachte ihn schließlich 1682 in Genua ein gedungener Killer zur Strecke.
Einen solchen Opernhelden hätten vielleicht Berlioz oder Verdi auf die Bühne stellen können, im Deutschland des Vormärz hingegen musste es friedlicher und moralischer zugehen. Friedrich von Flotow gehörte neben Nicolai und Lortzing zu den populärsten Opernkomponisten der Zeit, nicht zuletzt dank des 1844 uraufgeführten Stradella, dessen gefälliger Duktus Geist und Gemüt des Biedermeier entsprach. Inwieweit Hörer des 21. Jahrhunderts zu dieser Welt Zugang finden mögen, sei dahingestellt. Fraglos mangelte es Flotow an jener bemerkenswerten Fähigkeit Lortzings, echten Gemütston, derbe Komik und feine, zeitüberdauernde Ironie gleichermaßen authentisch darzustellen. Verglichen mit Wildschütz oder Waffenschmied wirkt Flotows Witz bisweilen bemüht, seine Melodik gelegentlich ein wenig hölzern.
Dessen ungeachtet verdienen die Aufnahme-Aktivitäten des Labels Capriccio in Zusammenarbeit mit dem WDR auf dem Gebiet der deutschen romantischen Oper ungeteiltes Lob. In schönen, sängerisch durchweg gut besetzten Produktionen sind hier unter anderem Werke von Kreutzer, Marschner und eben Flotows Stradella wieder zugänglich gemacht worden. Jörg Dürmüllers wendige und zugleich ausdrucksstarke lyrische Tenorstimme in der Titelrolle zu hören ist ebenso ein Vergnügen wie der volltönende Bass Markus Marquardts in der Rolle des Bassi und das „Banditen“-Duo Johannes Martin Kränzle und Bernhard Schneider. Einzig Leonora scheint mit der großen, nicht eben koloraturfreudigen Stimme von Sabine Paßow wenig glücklich besetzt. Die Ensembles des WDR agieren unter Helmuth Froschauers Leitung untadelig, in den Introduktionen und Ballettsätzen verdient sich das Orchester besondere Meriten.
Gerhard Anders