Händel, Georg Friedrich

Alcina

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Farao S 108080, 3 SACDs
erschienen in: das Orchester 04/2008 , Seite 62

Eines steht fest: Diese Alcina zählt zu den überzeugendsten Barock-Opernproduktionen der vergangenen Jahre. Insofern wäre es nur konsequent gewesen, sie auf DVD in Ton und Bild festzuhalten, zumal es sich um den seltenen Fall einer geschmackvollen, stimmigen, poetischen Inszenierung handelt, an die aber immerhin ein paar Fotos auf den CD-Hüllen und im Booklet erinnern.
Neben Bildern von prächtigen Kostümen und Kulissen verschenkt diese Edition aber vor allem eine optimale Besetzung. Dazu muss erwähnt werden, dass diese Produktion unter der Regie von Christof Loy drei Jahre vor der Münchner Premiere im Prinzregententheater 2002 erstmals in Hamburg herauskam – mit einem weitaus stärkeren Sänger-Ensemble.
Für derart virtuose, diffizile Koloraturen, wie sie Händel den Interpretinnen seiner 1735 uraufgeführten Alcina abverlangt, sind bildschöne Kopftöne in den Spitzen eigentlich unabdingbar. Umso Besorgnis erregender, dass unter den hier versammelten Sopranistinnen – Anja Harteros, Veronica Cangemi, Deborah York – nicht eine sie zum Einsatz bringt. Ja, fast scheint es, als mache sich hier – ausgehend von dem kehligen Gegurgel einer Cecilia Bartoli – ein neuer Trend breit, der dahin geht, die Bruststimme in der Höhe überzustrapazieren und alle Unebenheiten mit starkem Tremolo zu kaschieren. Schön klingt das nicht und gesund für die Stimme ist eine solche Technik auch nicht.
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich muss die Zauberin Alcina inmitten ihres Männer-Harems als verführerische Circe zärtlich gurren dürfen. Die fabelhafte Véronique Gens, die in Hamburg in der Titelpartie glänzte, setzte ein solches Gurren im Sinne einer Verzierung auch gezielt ein. Bei ihrer Münchner Nachfolgerin Anja Harteros allerdings ist ein dickliches Vibrato schon zur festen Gewohnheit geworden, da scheppert nahezu jeder Ton. Auch über die männlichen Interpreten lässt sich kaum Besseres sagen, zumal sich in die Oronte-Arien des Tenors John Mark Ainsley zu allem Übel noch Intonationsschwächen einschleichen.
Einzig Vesselina Kasarova als betörter Ritter Ruggiero und Sonia Prina als dessen verkleidete Verlobte Bradamante überzeugen mit idealem Fokus in allen Registern und einer gewissen Leichtigkeit in den gestochen scharfen Koloraturen.
Das größte Plus dieser musikalischen Einstudierung aber ist das phänomenale Bayerische Staatsorchester. Das hat sich mittlerweile dank der langjährigen Zusammenarbeit mit dem versierten britischen Originalklangexperten Ivor Bolton derart im Bereich der historischen Aufführungspraxis perfektioniert, dass es mit Spezialensembles wie der Akademie für Alte Musik, dem Concerto Köln oder Les Arts Florissants mithalten kann. Kaum zu glauben, dass hier Opernorchestermusiker auf modernen Instrumenten spielen! Und wie! Ein besonderes Lob gebührt dabei dem präzisen, sensiblen, feinnervigen Spiel des Continuo-Cellisten Markus Möllenbeck. An leisen Stellen stören zwar mitunter polternde Szenengeräusche. Alles in allem aber zeugt dieser Live-Mitschnitt von einer überdurchschnittlich guten Tonqualität.
Kirsten Liese