Vasks, Peteris
Ainava ar putniem (Landschaft mit Vögeln)
für Flöte solo
Der 1946 geborene lettische Komponist Peteris Vasks hat in Riga (wo er auch lebt) und Vilnius studiert. Bis 1974 spielte er als Kontrabassist in verschiedenen Orchestern. Seine Musik findet Anklang, seine Kompositionen, mit denen er seine Zuhörer unmittelbar emotional ansprechen möchte, werden oft und gern aufgeführt. Vögel als Symbol der Freiheit haben für ihn nicht nur aus politischen Gründen eine besondere Bedeutung, als Mittler zwischen Himmel und Erde machen sie uns auch die Zwiespältigkeit der menschlichen Existenz bewusst, die Diskrepanz zwischen dem, was der Mensch tut und was er tun sollte. Der Klang der Flöte, die den Gesang der Vögel nachzubilden weiß, scheint den Komponisten deshalb wohl auch besonders zu inspirieren. Das zeigen seine Bläserquintette “Musik für die fortgeflogenen Vögel” (1977) und “Musik für einen verstorbenen Freund” (1982), die Solosonate für Flöte (1992, in den Ecksätze mit Altflöte), und, ganz aktuell, das Flötenkonzert von 2009, eine Auftragskomposition des WDR.
Das gegenüber der dreisätzigen und technisch expansiven Sonate einfacher gestaltete Solostück “Landschaft mit Vögeln” ist bereits 1980 entstanden; was die Notation betrifft, wurde der Text für die Neuausgabe ein wenig redigiert. Im Vergleich zur ursprünglichen Ausgabe des Sowjetischen Staatsverlags, die bei Sikorski (vor dem so genannten Fall des Eisernen Vorhangs) erhältlich war, hat der Text einerseits kleine Veränderungen erfahren, ist aber auch lesefreundlicher und sinnvoller geworden, z.B. wurde mehr auf die Motive geachtet und Läufe werden nicht willkürlich unterbrochen. Ob es nun der Komponist selbst war, der seine Vorstellungen präzisieren wollte, oder ob ein jedenfalls ungenannter Herausgeber beteiligt war: Es gibt immer noch einige Unklarheiten, wenn auch andere als in der alten Fassung. Mit etwas Fantasie wird sich aber vermutlich für alles eine musikalisch überzeugende Lösung finden lassen.
“Landschaft mit Vögeln” ist eine ernste und faszinierende Komposition, und zugleich ist es angenehm oder sogar wohltuend, daran zu arbeiten. Durch den lebhaften Wechsel der Motive wirkt sie abwechslungsreich, durch ihre Dreiteiligkeit (Misterioso/Allegro drammatico/Misterioso) formal geschlossen, und dass die Stimme einbezogen wird, ist kein bloßer Effekt, sondern tatsächlich eine zweite Stimme, die auch gehört werden will. Die Zeitangaben für die nicht ausgeschriebenen Motivwiederholungen und für die Fermaten sind sekundengenau notiert, man wird sich aber, um sich ganz auf die Musik einlassen zu können, gelegentlich mehr Zeit nehmen. Obwohl es für idiomatisch Versierte keine allzu schwierigen Aufgaben stellt, könnte dieses Stück seine Interpreten, wenn sie es im Sinne des Komponisten spielen wollen, an die Grenzen der eigenen Möglichkeiten führen so wie der Gesang der Vögel, der uns so mühelos erscheint, auch ihnen das Äußerste abverlangt.
Ursula Pesek